In Winow wurde am 23. Januar 1898 Alojzy Liguda geboren. Er war das letzte von sieben Kindern. Vater Wojciech war nicht nur ein fleißiger und nimmermüder Arbeiter, er nahm auch aktiv am Leben der Pfarrgemeinde teil. Mutter Rozalia verstand es, der Familie durch Bescheidenheit und Leben aus dem Glauben ein überzeugendes Beispiel zu geben.
Mit sechs Jahren begann Alojzy seine Schul- und Lernzeit. Fleiß und sein aufgewecktes Interesse an allem, was für ihn neu war, brachten ihm gute Noten und schulischen Erfolg ein. Sobald er selber lesen konnte, erschloß er sich die Weite Welt mit den Zeitschriften, die ins Haus Liguda kamen. Er lernte die Missionsländer kennen und begeisterte sich sehr bald für Land und Leute im Riesenreich China und auf dem schwarzen Kontinent Afrika. So war er nicht verwunderlich, daß Alojzy mit 15 Jahren in das Kleine Seminar der Steyler Missionare in Neiße eintrat, um sich auf den Priester- und Missionsberuf vorzubereiten.
Der erste Weltkrieg unterbrach 1917 seine Schulzeit. Als Artillerist kam er noch zum Schluß des Krieges an die Westfront. Die Soldatenzeit war für ihn eine wertvolle Zeit der Prüfung und Bestätigung seines Berufswunsches.
Nachdem er 1920 sein Abitur abgelegt hatte, ging er ins Noviziat nach St. Gabriel in Mödling bei Wien. Nach dem Noviziat brachte ein Schulpraktikum eine erneute Unterbrechung seiner Studien. Er unterrichtete im kleinen Seminar von Pieniezno Latein und Mathematik. Am 26. Mai 1927 hatte er es geschafft: Nach der Priesterweihe in St. Gabriel feierte er seine Primizmesse in der Hl. Kreuz Kirche in Oppeln. Sein Traum, als Missionar nach China oder nach Neuguinea zu gehen, ging nicht in Erfüllung, er erhielt seine Bestimmung für die polnische Provinz. Seine erste „Missionsstation" war das Provinzialhaus in Gorna Grupa.
Die Oberen hatten ihn für weitere Studien bestimmt, da großer Mangel an qualifizierten Lehrern bestand. Zunächst galt es, weitere Prüfungen für das polnische Abitur abzulegen, um mit dem Studium an der Fakultät der polnischen Philologie der Universität Posen beginnen zu können. 1934 schloß er mit der Diplomarbeit über das Thema „Gall-Anonim als Literat" erfolgreich ab. Während seines Studiums betätigte er sich auch als Kaplan und Lehrer an der Schule der Ursulinen in der Sporna-Straße.
Nach seiner Ankunft in Gorna Grupa wurde P. Liguda sogleich Lehrer für Geschichte sowie für polnische Sprache und Literatur. An Sonn- und Feiertagen half er gern als Seelsorger bei den Soldaten in der nahe gelegenen Kaserne aus und leitete in den Schulferien Exerzitienkurse und Einkehrtage. In den Pfarreien, in denen er Gottesdienste feierte, war er als Prediger sehr geschätzt.
Am 24. Juli 1939 wurde P. Liguda zum Rektor in Gorna Grupa ernannt. Der zweite Weltkrieg war ausgebrochen. SS-Kommandos hatten das Missionshaus in ein Internierungslager umfunktioniert. Die Schule wurde geschlossen. Zu den internierten Hausbewohnern kamen am 28. Oktober 1939 etwa 80 Diözesan-Priester und Seminaristen aus den Diözesen Chemno Wloclawek und Gniezno.
Pater Malak schreibt in seinem Buch „Pfaffen in Lagern": „P. Rektor Liguda heißt uns willkommen. Seine hochgewachsene Gestalt im schwarzen Talar bewegt sich mutig und sicher unter den SS-Männern. Das gab uns Mut. In den kommenden Tagen und Wochen verstand er es, uns immer wieder mit freundlichen Worten und seinem ihm eigenen Humor Mut zu machen. Zunächst hatten wir alle damit gerechnet, daß die Priester und Seminaristen bald freigelassen werden. Doch es sollte anders kommen. Am 11. November 1939 fuhr ein Bus vor und nahm 15 Priester und zwei Seminaristen aus der Diözese Wloclawek mit. Pater Liguda erhob Einspruch, ohne den Abtransport verhindern zu können. Später erfuhren wir, daß die Verschleppten in einem nahen Wald erschossen wurden. Wieder war es P. Liguda, der uns Trost und neuen Mut machte. Dabei ließ er keinen Zweifel, daß er sich der ernsten Lage wohl bewußt war. Typisch für diese Situation und charakteristisch für unseren Rektor ist ein Bildchen, daß er Weihnachten seiner Familie schickte. Voran schreitet Christus mit einem Kreuz, ihm folgt eine Schar Priester: alle mit einem Kreuz."
Am 05. Februar 1940 wurden die Internierten von Gorna Grupa nach Nowy Port in Danzig gebracht. Dieses Lager war eine Filiale des KZ Stutthof. Inmitten von Dreck, Hunger, Zwangsarbeit und Prügel war Pater Alojzy Liguda wieder der gute Engel. Es war wohl sein Verdienst, daß im Lager am Gründonnerstag eine hl. Messe gefeiert und die Osterkommunion ausgeteilt werden konnte: für viele die Wegzehrung auf dem letzten Abschnitt ihres Lebensweges. Anfang April 1940 wurde P. Liguda mit einer größeren Gruppe Häftlinge nach Grenzdorf transportiert. Von dort ging es weiter nach Stutthof und weiter nach Sachsenhausen. Das Fegefeuer wandelte sich ins Höllenfeuer.
P. Liguda fand dank seiner guten Deutschkenntnisse bald deutliche Erleichterung. Er wurde bei der Bedienung eingesetzt und sollte Deutschunterricht erteilen. Einer seiner „Schüler" beschrieb den Unterrichtsablauf so: „Zu Beginn der Stunde wurden an den Fenstern Posten aufgestellt, die vor anrückenden SS-Männern warnen sollten. In seinen Reden streute P. Liguda immer wieder Witze, von denen er einen unbegrenzten Vorrat zur Verfügung hatte, damit wir das Lachen nicht verlernten. Bisweilen hielt er Referate zu bestimmten Themen oder einer der Priester erzählte aus seinem Erfahrungsschatz." Trotz der sichtbaren Bevorzugung war P. Liguda vor Schikanen nicht sicher. Zehn Schläge mit einer Eisenstange hatte er einmal hinzunehmen, weil er während der Arbeit eine Verschnaufpause eingelegt hatte.
Eines Tages verdichtete sich die Vermutung, daß P. Liguda bald freigelassen würde. Ein Indiz dafür war der Arzt, der zu ihm gerufen wurde. Doch das war ein Irrtum. Am 14. Dezember wurde P. Liguda nach Dachau transportiert. Dort bekam er die Häftlingsnummer 22604. Erst nach dem Krieg stellte sich heraus, daß es damals tatsächlich um eine Entlassung ging. Die Generalleitung der Steyler Missionare hatte zusammen mit der Familie über die Nuntiatur in Berlin eine Freilassung von P. Liguda zu erreichen versucht. Die Gestapo aber lehnte ab. Die Begründung lautete: "Der Häftling Liguda habe erklärt, er sei Pole und habe die Absicht, auch in Zukunft als Pole zu arbeiten." Darauf verfügte die Gestapo, daß der Pater als Teil der polnischen Intelligenz von der bisherigen Gruppe zu trennen und zu inhaftieren sei. Für seine Freilassung hatte man auch geltend gemacht, daß seine Familie die deutsche Staatsangehörigkeit besaß und er selbst als Soldat in der deutschen Armee gedient hatte und sein Bruder als deutscher Soldat im Ersten Weltkrieg gefallen war. Auch die Tatsache, daß er Deutsche vor dem Zorn polnischer Einwohner gerettet hatte, verhalf nicht zur Befreiung.
In Dachau quälte man die Häftlinge mit stundenlangen Märschen, bei denen ununterbrochen Lagerlieder gesungen werden mußten. Ab und zu hatte Pater Liguda diese Märsche zu leiten. Ein Augenzeuge verriet später, daß der Pater immer zunächst bemüht war, aus dem Blickkontakt des Blockführers heraus zu kommen. Danach tat er nur noch so, als übe er Lieder ein, statt dessen erzählte er Witze und munterte mit lustigen Anekdoten die erschöpften Häftlinge auf.
Im Januar 1941 wurde das Lager von einer Krätze-Epidemie heimgesucht. Die Kranken wurden in einer Baracke isoliert: 1000 Mann kamen in einen Raum, wo nur für 400 Platz war. Dünne Decken, faules Stroh und harte Bretter konnten nur schlecht vor der klirrenden Kälte schützen. Tagsüber hatten die Fenster geöffnet zu bleiben, nachts schützten sie geschlossen kaum vor der Kälte. Um die Umstände in dieser Zeit zu beschreiben, hier ein Bericht, der für die Lage der Häftlinge, aber auch für die Persönlichkeit P. Ligudas steht. Ein gewisser Rogler war einer der brutalsten Kapos und dazu sein unmittelbarer Vorgesetzte. Eines Tages wurde ein russischer Häftling dabei erwischt, wie er während der Arbeit eine Zigarette rauchte: ein Kapitalverbrechen. Rogler war unerwartet erschienen. Zwar hatte der Häftling die Zigarette rechtzeitig gelöscht, doch der Tabaksqualm stand noch im Raum. Rogler wandte sich an P. Liguda mit der Frage: „Wer hat geraucht?" Hätte der Angesprochene gesagt: 'Ich war es nicht', wären die Anderen die Schuldigen gewesen. Für P. Liguda blieb nichts anderes übrig, als die Schuld auf sich zu nehmen und zu sagen: „Ich habe geraucht." Der Kapo nahm ihn mit auf sein Zimmer. Das angeschwollene Gesicht, der blaue Fleck unter dem linken Auge waren deutliche Zeugen der Folter, die P. Liguda über sich ergehen lassen mußte. Als Rogler in der Kleidung des Häftlings keine Zigaretten fand, frage er: „Wo hast du die Zigaretten?" „Ich habe keine", war die Antwort. „Du bist ein Pfaffe und du lügst?" „Ich habe geraucht, aber nicht heute," antwortet Pater Liguda. Die Tortur ging solange weiter, bis sich der wirkliche Raucher gemeldet hatte. Der Henker Rogler war inzwischen so erschöpft, daß er seine Schikanen abbrach, doch den Häftling Liguda wollte er sich merken.
Was das im Klartext hieß, sollte sich bald zeigen. An Tuberkulose erkrankt, kam der Pater in die Krankenabteilung. Die Bedingungen waren hier deutlich besser. So konnte er Pakete von der Familie und Post von Wohltätern und Freunden empfangen. Die Genesung gelang relativ schnell und so wurde er entlassen, doch nicht zu der bisherigen Gruppe, sondern zu den Invaliden und Behinderten. Das bedeutete im Lageralltag das Todesurteil. Er war sich dessen bewußt. Das belegt ein Brief, den er einen Monat vor seinem Tod an Freunde schrieb: „Meine Mutter wird bald 84 Jahre alt. Wie sehr ich ihr auch ein langes Leben wünsche, so möchte ich doch nicht, daß sie ihren jüngsten Sohn überlebt. Das wäre für sie eine schmerzvolle Tragödie. Ich selbst trage mich mit dem Gedanken, daß ich bald im Hause meines Vater zu meinen Brüdern komme. Ich hoffe, daß mich die göttliche Vorsehung durch alles Wirrnisse und Irrungen führt, um mich geistlich und geistig reifer zu machen." Auf dem letzten Wegstück seines Lebens hat der dem Lagersekretär noch gesagt: "Wenn ihr erfahrt, daß ich tot bin, dann sollt ihr wissen, daß sie einen gesunden Menschen ermordet haben."
Nach dem Bericht eines Sanitäters hat man die aus 10 Mann bestehende Gruppe bestialisch ertränkt. Im Lager verbreitete sich nachträglich noch das Gerücht, man habe P. Liguda noch bei lebendigem Leib die Haut in Streifen geschnitten, bevor man ihn ertränkte. Das sei die Rache des Blockführers von Block 29 dafür gewesen, daß der Pater ihn in aller Öffentlichkeit ermahnt hatte, doch die Brotrationen gerechter zu verteilen. Dieser Kapo hatte auch veranlaßt, daß der Pater auf die Invalidenliste eingetragen wurde, da er versucht hatte, Häftlinge, die vor Hunger starben, zu verteidigen.
In der Nacht vom 08. auf den 09. Dezember 1942 vollendete Pater Liguda sein Leben, befreite ihn Gottes Ruf aus Angst und Not. In einem Brief teilte man seiner Mutter den Tod des jüngsten Sohnes kurz mit: „Ihr Sohn Alojzy Liguda, ist am 08. Dezember 1942 in der hiesigen Krankenabteilung an Lungentuberkulose gestorben!"
Im Gedächtnis seiner Leidensgenossen hat sich P. Liguda als ein Mensch von außerordentlicher Glaubenskraft, Auferstehungshoffnung und herzlicher Mitmenschlichkeit eingeprägt. Er half Bedürftigen, ermunterte Verzagte und Kleinmütige, und widerstand durch klare Worte den spöttelnden Kapos und SS-Offizieren. In seiner Nähe fühlten sich die Mithäftlinge sicherer, aufgehoben wie in einer Festung. Als Ordner in der Gefangenenstube sorgte er für eine gerechte Verteilung von Arbeit und Brot.
Alojzy Liguda SVD wurde am 13. Juni 1999 zusammen mit den drei Steyler Missionaren Grzegorz Frackowiak, Stanislaw Kubista und Ludwik Mzyk von Papst Johannes-Paul II. seliggesprochen.