Imagination der Lebenswelten

Deutschland

14. Sep 2021

Missionarischer Dienst an der Peripherie

„Was machst du eigentlich“, werde ich oft gefragt. Ich höre darin den leisen Vorwurf: Du könntest etwas von der Last der Verwaltung und Leitung in Seelsorge und Mission mittragen. Nun ja, als inzwischen 17jähriger Rentner bin ich aus verpflichtendem Dienst entlassen, springe nur noch ein, wo Not am Mann ist bei denen, „die was machen“. Am ehesten ernte ich ein „aha“, wenn ich erwähne, dass ich mich seelsorglich um die Gemeinschaft der Litauer kümmere. Aber das tue ich „eigentlich“ nur nebenbei: einmal im Monat eine Messe in ihrer Landessprache, gelegentlich eine Taufe oder Hochzeit oder Vorbereitung von Migranten auf die Erstkommunion und die Mitfeier ihrer Feste wie Nationalfeiertag, Muttertag, Sommerfest (Jonines), Nikolaus, die immer mit einer Messe beginnen und sich dann in unseren Pfarrräumen folkloristisch entfalten. Da kommen immer viele mit ihren litauisch-deutschen Kleinen, die ihren Eltern vorführen, was sie in ihren Sonntagsschulen vom Erbe ihrer Vorfahren gelernt haben.

Philosophie am Esstisch im Speisesaal.
Philosophie am Esstisch im Speisesaal.
Kalte Abkühlung nach heißen Denkprozessen.
Kalte Abkühlung nach heißen Denkprozessen.

Missionarischer Dienst bedeutet, an die Peripherie gehen. Papst Franziskus meint damit, sich um die zu kümmern, die überhaupt nichts haben. Die missionarische Peripherie verläuft aber auch mitten durch unsere Wohlstandsgesellschaft. Ich hatte vor der paradiesischen Rentnerzeit „etwas zu machen“ in der Schule. Welch kultureller Schmelztiegel das ist und wie der Religionsunterricht dahin schmilzt, bekomme ich indirekt noch mit. Ich arbeite mit in einem Arbeitskreis erfahrener evangelischer Religionslehrerinnen und -lehrer. „Religion braucht Bildung, Bildung braucht Religion“ (Buchtitel einer Festschrift). Wir fühlen uns herausgefordert „etwas zu machen“ gegen die vereinnahmende Dominanz der Digitalisierung der Schule in der aktuellen Bildungsdiskussion. Wir arbeiten an einer Handreichung für Schulbeauftragte, Lehrer und Eltern über Bildung.

Dabei haben wir es mit verschiedenen Imaginativen zu tun. Unter diesem Fachbegriff werden die verschiedenen Lebenswelten verstanden, die den Lebensstil der einzelnen Mitglieder der Gesellschaft prägen. Da gibt es das traditionell christliche Imaginativ, das seinen Niederschlag unter anderem in Lehrplänen und Schulbüchern findet, aber bei Eltern, Kindern und Jugendlich auf immer weniger Interesse stößt; das neu hinzu gekommene aber vorwärts drängende muslimische Imaginativ; das anthropozentrische oder säkulare Imaginativ. Letzteres ist das am nachhaltigsten meist unbewusst Prägende. Seine Wurzeln reichen weit zurück, bis dahin als man begann, Glauben und Wissen zu trennen. Das Wissen setzte sich durch, unterstützt von faszinierenden Erfindungen der Technik. Das anthropozentrische Imaginativ zentriert sich um den Menschen. Die Computerfaszination schlägt durch bis in die schulische Bildung. Die Digitalisierung des schulischen Lernens hat zur Zeit Priorität. Die Vordenker dieser Entwicklung stellen heraus, wie der Mensch die Stelle Gottes einnimmt. Was man von Gott erwartete, können wir Menschen und unsere intelligenten Maschinen schon oder bald selber erledigen. Der viel gelesene Autor Juval Noah Hariri sagt es klipp und klar schon im Titel seines Buches „Homo Deus. Eine Geschichte von morgen.“ Aus einem Vierbeiner wurde der Zweibeiner homo erectus, der sich zum homo sapiens weiterentwickelte. Das sind wir mit unserer Intelligenz, die dabei ist, künstliche Intelligenz zu entwickeln, die bewerkstelligt, was bisher Herrschaftsbereich der Götter oder Gottes war.

So erschreckend krass formuliert das erst einmal der belesene Professor, aber als Hintergrundmusik befeuern seine Überlegungen das säkulare Imaginativ, das Leben ohne jenseitigen Gott. Viele Kinder sind von daheim her schon dadurch geprägt, je älter sie werden, desto unvermeidlicher wird es ihnen mit den Lernstoffen eingeflößt. Hier stößt das christliche Imaginativ an eine Grenze. Die Religionslehrkräfte befinden sich an der Peripherie. Was tun, dass in diesem Techno-sound die Botschaft des Evangeliums annehmbar wird?

Aber auch in den Privaträumen gelange ich an die Peripherie, wenn ich mit zwei jungen Mitbrüdern, die ein Doktoratsstudium absolvieren, über Texten zeitgenössischer Philosophen sitze, die wir zu verstehen suchen. Beide nähern sich aus unterschiedlichen Richtungen der Problematik des Verhältnisses von Staat und Religion. Beide tun es im Hinblick auf die Vielfalt von sechs offiziell anerkannten Religionen in ihrem Heimatland Indonesien. Auf den harten Stühlen ihrer Studierzimmer, wo es längst nicht so lebhaft und abwechslungsreich ist wie in ihren Kaplans-Jahren, bereiten sie sich auf den Dialog mit den anderen Religionen vor, der unausweichlich ist für ein friedliches Zusammenleben.

In meiner Jugend verstand man Mission als Bekehrung der (unterentwickelten) Heiden. Wir haben in unserer Ordensgemeinschaft unser Reden – und hoffentlich auch unser Denken – geändert. Wir sprechen von Dialog. Die Fähigkeit dazu wird nicht angeboren. Sie soll reifen auch im Stress der stillen Studierstube. Versteht ihr, liebe Leser, was wir „machen“?

Text: Pater Gerd Birk SVD
Fotos: Steyler Archiv

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