13. Mär 2021
Im Vortrag zur politischen Gestaltung des „guten Lebens“ beschrieb Dr. Julia Lis Bedingungen, wie eine Gesellschaft gestaltet werden soll, damit alle Menschen darin eingeschlossen werden können.
Wie soll man „gutes Leben“ in der Gesellschaft gestalten,
war das Thema des letzten Vortrags in der Reihe über „Gutes Leben – Zwischen
Machbarkeit und Verletzlichkeit“ der Akademie Völker und Kulturen am 12. März
2021. Dr. Julia Lis vom Institut für Theologie und Politik (Münster) argumentierte
dabei für ein „Leben in Fülle“ für alle, gegenüber der eingeschränkten Sicherung
des „nackten Lebens“ und Überlebens der Bevölkerung, die im übrigen keinen Zugang zum "guten Leben" bekommt.
Dr. Lis bezog sich dabei auf die Arbeiten des italienischen Philosophen Giorgio Agamben, der sich mit der Frage nach dem „guten Leben“ beschäftigt und zwischen dem „nackten Leben“ und dem „Leben in Fülle“ unterscheidet. In seiner Analyse zeigt sich, dass in der Antike das „Leben in Fülle“ den wenigen freien Bürgern möglich und vorbehalten war, während der Großteil der Menschen – Sklaven, Kinder und Frauen – davon ausgeschlossen war. Dieser Mehrheit der Menschen konnte bloß das „nackte Leben“ zugestanden werden, während Konsum, Kunst und Freiheit den Wenigen – Männern – vorbehalten war. Unter diesen Perspektiven lässt sich die „Stadt“, die „Polis“ und Gesellschaft, durchaus gestalten, die Politik für diese Gesellschaftsform ist möglich und hat eine lange Tradition im Abendland. Gerade in der Zeit der Pandemie wird offenbar, wie sehr wieder das bloße Überleben der Bevölkerung ins Zentrum rückt und von Sichtweisen nach erfülltem und sinnvollem Leben abgetrennt wird – Kultur, Begegnung und Kontakt werden zurück gestellt. Noch dazu gewinnt die technische Machbarkeit des nackten Überlebens an Bedeutung, mit medizinischer Technik und den Impfungen, durch die der Mensch leicht in Gefahr gerät, zur funktionierenden Maschine gemacht zu werden.
Aus ihrem Blickpunkt von politischer Theologie und der Ausrichtung auf Leben in Fülle betonte Dr. Lis die Grundoption für eine "solidarische Subjektwerdung": Ich kann nur Mensch werden zusammen mit anderen und dabei darf prinzipiell niemand ausgeschlossen werden, und prinzipiell erstreckt sich diese Solidarität und Gemeinschaft auf alle Menschen und die Schöpfung weltweit. Eine solche Perspektive kommt nicht umhin, die aktuelle Gesellschaftsorganisation und Politik in ihrer neoliberalen kapitalistischen Ausformung deutlich zu kritisieren, weil in ihr die Beziehung zu anderen Menschen über Waren und Geldaustausch in einem Markt von Angebot und Nachfrage zum eigenen Vorteil gestaltet werden. Wie sich ja etwa auch noch einmal in der Pandemie zeigt: Wer darf wann geimpft werden zu welchen Zwecken? Wenn sich ein Land Impfstoff organisieren kann und damit das Überleben der Bevölkerung sichert, aber von einer europäischen, geschweige denn internationalen Solidarität mit Ländern in anderen Kontinenten keine Rede sein kann…
Dr. Lis schloss ihren Vortrag mit der Forderung ab, dass die Christen ihre Hoffnung und ihren Glauben an eine Verheißung im öffentlichen Raum einbringen und eine Gestaltung guten und sinnvollen Lebens einfordern und vorleben, das auch jene Menschen und Gruppen im Blick behalten, die unter den aktuellen Bedingungen von gutem Leben ausgeschlossen sind und unter dieser Ausgrenzung leiden. Es geht darum, die Bedingungen des Leidens zu überwinden. Wie sehr eine Gestaltung der Gesellschaft auf ein gutes, gelingendes Leben hin gelingt, wird sicher zu tun haben mit dem Mut zu utopischen Horizonten, die alle einschließt und mit ihnen Beziehungen eingeht.
Christian Tauchner SVD