Juni 2015
Wir beten zu Gott, unserem Vater, für Vertriebene und Flüchtlinge, dass sie menschenwürdige Aufnahme und Zuwendung an ihrem neuen Lebensort finden.
Leider ist dieses Gebetsanliegen und mehr noch die Wirklichkeit dahinter heute ungemein dringlich. Der Beter kann sich der Tatsache kaum entziehen, denn die Nachrichten bringen immer wieder Berichte von Flüchtlingen im Mittelmeer, die europäischen Nationen veranstalten Gipfeltreffen angesichts der Herausforderungen von Flüchtlingen und Migranten, usw. Der Papst selber ist zu einem Propheten geworden, der durch seine erste Reise gerade nach Lampedusa auf die Situation von Flüchtlingen hingewiesen und dabei unserer Gesellschaft einen Spiegel vorgehalten hat, zum Erschrecken vieler.
Es tut gut zu hören, dass vom deutschen Bundespräsidenten abwärts fast alle für „menschenwürdige Aufnahme und Zuwendung“ sind. Allerdings wird weniger deutlich davon berichtet, dass gleichzeitig Europa den Flüchtlingen vor allem mit militärischen Mitteln entgegen tritt: Zur Türkei, nach Marokko hin gibt es tödliche und höchst ausgefeilte militärische Abwehrsysteme gegen die Flüchtlinge. Notleidende Menschen, die nach Europa kommen wollen, werden mit militärischen Mitteln zurückgewiesen, durch höchst fragwürdige Organismen wie Frontex, die keine Finanzierungsprobleme zu haben scheinen. Dem gegenüber sind die Anstrengungen für Rettung aus Seenot recht bescheiden. Die Flüchtlinge sind auf die Schlepperbanden angewiesen, um nach Europa gelangen zu können.
Vater unser?
Vielleicht sollte sich der Beter dem Angesicht des Vaters stellen: Vater unser, beten wir. Wer ist da überhaupt eingeschlossen, im „unser“? Ist es nicht von vornherein allumfassend gemeint? Gibt es denn jemanden auf dieser Welt, der nicht Kind dieses Vaters wäre? Sind denn Vertriebene und Flüchtlinge solche Fremde, dass sie nicht von vornherein zur engsten Familie gehörten, Schwestern und Brüder wären? Und das nicht in einer symbolisch übertriebenen Sprache, sondern vital und existentiell?
Die Frage nach dem „Vater“ und dem „Unser“ wird zum Spiegel: Was für eine Schwester, was für ein Bruder bin ich denn diesem Vertriebenen, dem Flüchtling, Kind des gleichen Vaters, genauso geliebt wie ich? Es ist die Frage aus dem Gleichnis vom Barmherzigen Samariter: Wer ist dem Opfer zum Nächsten geworden (vgl. Lk 10,36)?
Die jüngeren Steyler Missionare beschäftigten sich in Sankt Augustin Anfang Mai mit dem Thema „Flüchtlinge“. Eine interessante und erschreckende Information bei diesem Treffen bezog sich auf die Aufnahmebereitschaft verschiedener Staaten: Schweden nimmt weniger als fünf Flüchtlinge (Asylanten) pro 1000 Einwohner auf, zusammen mit Malta der europäische Spitzenreiter. Deutschland nimmt 0,95 pro 1000 auf, Österreich 2,07, die Schweiz 3,58. Ein Vergleich: Libanon, trotz all seiner wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten, nimmt um die 250 (!!!) pro 1000 auf, ein Viertel der eigenen Bevölkerung.
Es fehlt also nicht an guten Beispielen und an Motivation, den Vertriebenen und Flüchtlingen eine menschenwürdige Aufnahme und Zuwendung anbieten zu wollen und das Gebet solidarische Praxis werden zu lassen.