Januar 2015
Wir beten zu Gott, unserem Vater, für die Mitglieder verschiedener religiöser Traditionen, dass sie mit allen Menschen guten Willens für Frieden und Gerechtigkeit zusammenarbeiten.
Einer meiner Lieblingsverse aus den Psalmen formuliert den Zusammenhang von Frieden mit Gerechtigkeit so: „Es begegnen einander Huld und Treue, Gerechtigkeit und Friede küssen sich“ (Ps 85,11). Nach dem weihnachtlichen „Süßer die Glocken nie klingen“ und der damit verbundenen „Stillen Nacht“ kann es ja sein, dass man sich in einen Frieden hineinwünscht, der sich an der Gerechtigkeit vorbeischwindeln möchte. Die Gebetsmeinung führt in ein neues Jahr hinein, in dem der Friede und die Gerechtigkeit die beiden Pole sind, um die das Zusammenleben der Menschen kreist.
Der ganze Psalm 85 hilft übrigens, die beiden Akzente besser zu verstehen: Ausgangspunkt des Liedes, das von den Korachitern – einer hoch angesehenen Komponistenschule damals – erdichtet wurde (85,1), ist ein Rückblick in die Heilsgeschichte: Gott hat Schuld vergeben, hat das Leben ermöglicht. Angesichts damals wie heute weltweit drohenden Unheils – ein Blick in die täglichen Nachrichten genügt – richtet der Beter den Blick auf Gott, von dem wieder Heil und Leben ausgehen kann. Dabei verweist der Psalm auf den Zusammenhang von Gerechtigkeit und Frieden, von Gnade und Treue. Also: Der Friede fällt dem Beter nicht fix und fertig wie ein Weihnachtsgutschein in den Schoß, sondern es gibt auch etwas zu tun, damit friedvolles Leben in der Gesellschaft möglich wird.
Im vom Papst angeregten Gebet schauen wir Beter dabei weit über den Rand unserer eigenen Kirche hinaus: Zusammen mit den Betern anderer religiöser Traditionen suchen wir Frieden und Gerechtigkeit, arbeiten wir zusammen für diese Werte und für eine Gesellschaft, die von ihnen geprägt ist.
Gelegentlich wird behauptet, dass die monotheistischen Religionen grundsätzlich zu Gewalt führen (z.B. Jan Assmann). Altkanzler Helmut Schmidt (und manche andere) schlagen vor, die Religionen auf den Privatbereich zu beschränken, damit sie keinen sozialen Schaden anrichten können. Dem gegenüber können sich die Katholiken für ihren Willen zu sozialem Engagement und zur Zusammenarbeit mit anderen Gläubigen wenigstens auf das Konzil berufen und stützen: Gaudium et Spes 92 – eigentlich der ganze Schlussabschnitt des Dekrets – spricht davon, dass die Gläubigen eine Sendung in die Welt empfangen haben, in der sie die Werte anderer Menschen anerkennen und mit ihnen in der Gestaltung von Welt und Gesellschaft zusammenarbeiten sollen. Was da in GS 92 „Dialog“ genannt wird, stellt sich wie konzentrische Kreise dar: Es geht um die Zusammenarbeit für Frieden und Gerechtigkeit (und Entwicklung usw.), ohne dass man dabei viel von Religion und Gott zu reden braucht. Es geht dann aber auch um Begegnung mit anderen Christen, mit Mitgliedern anderer Religionen und schließlich um die Zusammenarbeit mit allen Menschen guten Willens, motiviert von Gott und durch die Suche nach Wahrheit, Menschlichkeit und den Aufbau einer wahrhaft friedlichen Welt. Religionen und gemeinsames Beten sind dafür kein Hindernis, vielmehr beweisen sich „wahre“ Religionen vor allem in ihrem Engagement für Gerechtigkeit und Frieden.