16. Sonntag im Jahreskreis (C)

Predigtimpuls

„Zeit haben und Zeit nutzen“

1. Lesung: Gen 18,1-10a
2. Lesung: Kol 1,24-28
Evangelium: Lk 10,38-48

Zeit haben
Frau Stelzer ist verheiratet, hat zwei Kinder und eine moderne Wohnung mit allem T Komfort. Sie braucht nur die Heizung anzustellen, dann wird es warm. Die Waschmaschine und die Trockenschleuder sparen viel Zeit und Arbeit. Wenn sie einkaufen fährt, spart sie viel Zeit, weil sie nicht zu laufen braucht. Mit dem Staubsauger spart sie viel Zeit. Das Essen macht ihr nicht viel Arbeit, weil sie das meiste aus Konserven kocht. Sie stopft und flickt nicht, also gewinnt sie viel Zeit. Sie kocht auch nicht ein. Wenn gebadet wird, braucht sie kein Wasser zu schleppen. Also gewinnt sie Zeit.
Aber es ist seltsam: sie hat nie Zeit. Frau Müller ist achtzig Jahre. Sie musste jeden Tag Feuer anmachen. Sie musste in einem Holzzuber Wäsche waschen, mit einem Waschbrett und ohne „Weißen Riesen“. Sie musste die Wäsche mit der Hand auswringen und im Hof aufhängen. Vier Treppen musste sie steigen. Sie putzte das Gemüse, das sie vom Markt heimschleppte; die Kartoffeln holte sie aus dem Garten. Sie musste stopfen, flicken, für fünf Kinder und ihren Mann. Der Fußboden musste geschrubbt werden. Am Badetag schleppte sie Unmengen Wasser. Sie hat alles eingekocht, was sie brauchte. Sie half den Kindern bei der Schularbeit: dazu hatte sie trotz allem noch Zeit. Sie hatte kein Telefon, keine Waschmaschine, keinen Staubsauger, keine Konserven und was es so gibt, mit dem man Zeit spart. Die alte Müllerin wirkte nie nervös, dazu hatte sie keine Zeit. Dafür aber hatte sie Gott.
Viele Briefe beginnen mit der immer wiederkehrenden Floskel: „Entschuldige bitte, dass ich erst heute schreibe, aber …“, und dann kommt so etwas wie: „… viel Arbeit, keine Zeit gehabt.“ Keine Zeit haben, das gehört fast zum guten Ton. Wir fühlen uns aber trotz aller Klage bei diesem Zeitmangel eigentlich wohl; er gibt das Bewusstsein, gebraucht zu werden, etwas zu leisten. Und entschuldigt andererseits von allem, was uns nicht so liegt, beispielsweise das Briefeschreiben.
Eigentlich ist es aber nicht einzusehen, warum wir weniger Zeit haben sollten als frühere Zeiten, die keinen Acht-Stunden-Tag und keinen arbeitsfreien Samstag kannten. Gewiss ist der Arbeitsrhythmus heute hektischer, unsere Nerven werden in dieser Zeit schneller verbraucht wir sind vielseitiger interessiert und haben mehr Möglichkeiten der Unterhaltung und des Wissens als früher. Andererseits nehmen uns Maschinen und andere moderne Einrichtungen viel Arbeit ab.
Und so müssen wir uns fragen lassen, ob der Grund für den Zeitmangel nicht tiefer liegt. Haben wir vielleicht Angst, wir könnten zu uns selber kommen?

Maria hat den besseren Teil erwählt
Der heutige Text des Evangeliums gilt bei den Fachleuten als so etwas wie ein ,,biblischer Katechismus“, der nun freilich nicht in trockenen Lehrsätzen, wohl aber mit überlieferten Erzählungen einprägen will, worauf es ankommt, wenn einer Jünger Jesu sein und sein Heil nicht verscherzen will. Die Erzählung von Marta und Maria erscheint so als eine Beispielgeschichte, welche zeigt, wie bedeutsam es ist, auf den Herrn zu hören, und dass solcher Aufnahmebereitschaft nichts vorangestellt werden darf.
Zunächst möchten wir uns auf die Seite Martas stellen, die mit ihrem nur zu guten Herzen den Besuchern Gastfreundschaft anbieten möchte mit allem, was für eine Frau dazugehört. Für ein Gespräch wäre auch nach dem Essen noch Zeit gewesen. Doch hier geht’s eben nicht um eine Episode aus dem Leben Jesu; dazu ist die Geschichte auch zu knapp und konzentriert erzählt. Alle Einzelheiten werden Betanien gewesen sein sollten, von denen hier die Rede ist.
Zuerst geht alles seinen normalen Gang. Marta sorgt für das Wohl der Gäste. Aber ist ganz Ohr“ für Jesu Wort. Da gibt es nichts zu tadeln. Beide Verhaltensmuster sind richtig und gut, die Sorge und Mühe um Jesus und die Seinen, aber auch das scheinbar unnütze Hinhören auf das Wort des Herrn. Doch dann erhebt sich der Widerspruch. Nicht durch Jesus, sondern durch Marta. Sie greift ein, überzeugt davon, dass im Augenblick die Pflicht der Gastfreundschaft wichtiger ist als alles andere. Und so bittet sie Jesus, ihre Schwester wegzuschicken. Doch Marta wird gleich korrigiert, indem Jesus sagt: „Maria hat - im Augenblick - den besseren Teil erwählt, und der soll ihr nicht genommen werden.“ Damit ist das Ziel, die bleibende Absicht der Erzählung erkennbar geworden. Die Geschichte will ein Herrenwort vermitteln, das nicht nur die hörende Maria von damals rechtfertigt, sondern für alle späteren Zeiten deutlich macht: Das Hören auf Gottes Wort durch den Jünger Jesu, die Offenheit für Gottes Willen darf durch nichts verdrängt werden. Man muss dieses Wort sehr zur Kenntnis nehmen, denn es ist ja nicht das einzige Mal, dass der Herr die alles entscheidende Bedeutung solchen Hörens klarstellt. Kurz nach unserer Erzählung wird jene begeistert preisende Unbekannte geschildert und zu ihr gesagt: „Selig sind die, die das Wort Gottes hören und danach handeln“ (Lk 11,28). Und denen, die Jesus darauf hinweisen, er werde von den Seinen gesucht, antwortet er: „Meine Mutter und meine Brüder sind die, die das Wort Gottes hören und danach handeln“ (Lk 8,21).

Der rechte Augenblick
Der alte Laotse sagt uns: „Die Augenblicke, in denen wir für den anderen gesammelt da sind, sind wie Diamanten mitten im Treibsand der Wüste.“ Die wenigen Momente, in denen die Seele des einen dem anderen begegnet, sich der Rede öffnet. Ihm schweigend begegnet, zählen oft mehr als Taten im Verlauf von vielen Jahren. Es ist das ganze Problem: Wo begegnen wir Menschen, die Worten zuhören, statt Taten dazwischenzusetzen? Und noch mehr: Wo begegnen wir Menschen, die Worte vergessen können, die zwischen den Zeilen lesen und die oft verschwiegene Sprache des Herzens wahrnehmen?
Dies, dass es genügt, einfach dazusein, muss eine der wichtigsten Erfahrungen gewesen sein für jeden, der Jesus begegnete. Er wollte nicht, dass man zu sehr überdreht am Leben vorbeilebte – dauernd beschäftigt. Er wollte nicht, dass man Augenblicke, die sein könnten wie Momente der Gnade, zuschütte, indem man das eigene Wirken an die Stelle der Wirklichkeit, das eigene Handeln an die Stelle des eigenen Daseins rückt. Jesus wollte, dass es in unserem Leben zumindest in der Nähe des Göttlichen Augenblicke gibt, die etwas widerspiegeln von einem der wichtigsten Gesetze des alten Israel, von der Ruhe Gottes, als er die Welt geschaffen hat.
Man wird einmal eine Religion und eine ganze Gesellschaft danach bemessen, inwieweit sie fähig ist und zu kultivieren versteht, was es an der Kunst des Nicht-Machens zu lernen gibt. Auch in der Seelsorge gibt es die großen Macher, als ließe sich Leben so praktisch ordnen, so leichthin verordnen, als wären die wirklichen Fragen des Lebens nicht überhaupt erst zugänglich, wenn Ruhe eintritt und ein inneres Wachen beginnt. Schlimm ist es, wenn wir immer in der Angst leben, wir seien in den Augen der Menschen nur das, was wir tun und leisten, was wir schließlich aufzuweisen haben.

Das Jahr mit der Bibel
Es ist uns bekannt, dass Hören nicht gleich Hören ist. Es gibt das gespannte Zuhören und das oberflächliche Mithören, vom verschlafenen Nichthinhören – bei der Predigt oder im Unterricht - ganz zu schweigen. Wie gehen wir mit dem Worte Gottes um? Forschen wir selber-insbesondere in diesem Jahr mit der Bibel-in der Schrift? Leben wir in der Sorge, wir könnten etwas überhört haben, was Gott uns schon längst sagen wollte? Wird dem Wort der Schrift (und damit dem Worte Gottes) nur in der Liturgie äußere Ehre zuteil? Oder bestimmt es auch unsere Verkündigung? Gibt es in unserem geistlichen Leben so etwas wie die tägliche Schriftlesung? Oder verstauben unsere Bibeln, die wir zur Firmung oder zum Hochzeitstag geschenkt bekamen, in unseren Bücherregalen? Gerade in diesem Jahr müssten wir eigentlich wieder nach dem „Besseren“, nach ,,dem guten Teil“ zurückfinden. „Das Wort ist ganz nahe bei dir“, heißt es in Deuteronomium 30, 14. Man kann es eigentlich nicht überhören.

Die Ruhe in und bei Gott
R. Geiselmann schreibt: „Adam wurde am 6. Tag erschaffen - am gleichen Tag wie das Herdenvieh, aber mit gebührendem Abstand. Ein eigener göttlicher Ratschluss sagt: `Lasset uns den Menschen machen´ Es war in der zweiten Tageshälfe des 6. Tages, schon nahe am Abend. Der Abend, der hereinbrach, war der Sabbatbeginn. Der erste Tag also, dessen Beginn der neugeschaffene Mensch erlebte, war der Tag der Ruhe Gottes, durch den das Schöpfungswerk vollendet wurde. Und der Mensch, ,nach dem Bilde Gottes geschaffen‘, begann sein Dasein damit, die Ruhe Gottes mitzufeiern. Die Schöpfungsgeschichte zielt auf den Sabbat hin, und der Mensch wird zum Genossen der Ruhe Gottes, ehe er als Genosse des göttlichen Sechstagewerkes an sein menschliches Werk gesendet wird. Darin liegt eine Grundaussage der Bibel über den Menschen.“
Maria hat den besseren Teil erwählt; sie nutzte die Gunst der Stunde. Für uns kann u. a. der Sonntagsgottesdienst die Gunst der Stunde sein. Hoffentlich nutzen wir sie, diese Stunde. Denn schließlich gilt auch für uns heutige Menschen, dass Empfangen vor Handeln geht. Und dann kann es sein, dass wir ganz anders mit der Zeit umgehen. Dann kann es sein, dass wir von der alten Müllerin lernen, „Gott zu haben“ und mit IHM auch immer die Zeit für den Mitmenschen.

Meditation:
ZEIT ­
ewige Zeit, immer gleich, unerbittlich fließende Zeit, die keiner hat, die niemandem gehört und niemanden fragt. Ohne Rücksicht geht sie und kehrt nicht zurück. Sie zerrinnt zwischen den Händen wie Sand, und ich lebe in ihr.
ICH ­
mitten in der Zeit, bin die Uhr. An mir selbst messe ich, weiß, was die Stunde geschlagen hat. Wenn ich in mich lausche, höre ich den ewig gleichen Schlag, an dem mein Herz müde geworden ist. Die Zeit hat meine Sehnsucht welk werten lassen, und meine Träume hat sie in Ketten gelegt. Ich sehe die Spuren, die sie unbemerkt eingegraben haben in die welke Haut. Sie hat die Linie der Falten gezeichnet, leise und sanft hat sie mir das Haar gelichtet, und meinen Rücken hat sie behutsam niedergebeugt.
DOCH -
was sie fortgenommen hat, hat sie mir überreich zurückgegeben. Die Zeit ist leer geworden und mein Leben voll. Und wenn der, der allein Herr über die Zeit ist, das Glas zerbricht, dann ist die Zeit ans Ende gekommen. Doch alles, was sie mir ein Leben lang wortlos geschenkt hat, das bleibt. Und damit kann ich meine Ewigkeit überhaupt erst anfangen. (Manfred Lay)

[Anmerkung der Redaktion: Die von P. Schmitz verfasste Predigt wurde bereits veröffentlicht in: DIE ANREGUNG, Nettetal 1992; S. 282-286]

P. Josef Schmitz SVD

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