Deutschland
05. Jun 2020
Corona verändert die Welt.
Es ging sehr schnell. Als wir vom BMZ die Nachricht bekamen, dass alle weltwärts Freiwilligen aufgrund der internationalen Lage und der Maßnahmen im Zusammenhang mit Covid-19 zurückgerufen wurden, saßen wir innerhalb von weniger als einer Woche plötzlich wieder in einem Flugzeug nach Frankfurt. Für mich war es erstmal ein Schock, so plötzlich, so unerwartet und so ohne eigene Kontrolle aus meinem „weltwärts“ Freiwilligendienst bei den Sophiatown Community Psychological Services gerissen zu werden.
Am Abend, als wir davon erfuhren, erzählte ich meiner Mitbewohnerin unter Tränen, dass ich nach Hause fliegen müsse. Sie war wohl geschockt und traurig darüber, hörte mir jedoch aufmerksam zu. Wir beide hatten uns sehr aneinander gewöhnt und ich habe die Gespräche mit ihr sehr geschätzt. Besonders schwer war es für mich, sie mit ihrem kleinen JayJay im House of Dreams zurückzulassen.
Die letzten Tage für mich in Johannesburg verliefen dann etwas drunter und drüber. Hinzu kam, dass ich einen Tag nach der Nachricht vom BMZ und meiner Organisation über unsere Rückreise meinen Geburtstag hatte. Ich war jedoch gar nicht in Geburtstagsstimmung. Stattdessen musste ich am Morgen im Büro meinen Kolleginnen und Kollegen mitteilen, dass ich nicht mehr weitere fünf Monate bei ihnen bleiben dürfe, sondern lediglich zwei weitere Tage. Für mich war das überraschend schwer. Eigentlich bin ich Umzüge und Abschiede gewohnt. Johannesburg ist der zehnte Ort, in dem ich längere Zeit gelebt habe. Und doch konnte ich meinen Kolleginnen und Kollegen an dem Tag ebenfalls nur unter Tränen und um Worte ringend mitteilen, dass ich gehen müsse. Manche von ihnen waren geschockt wie ich, manche meinten, dass es wohl besser für mich wäre, bei meiner Familie zu sein.
Hiernach habe ich mich von den Gruppen, in denen ich mitgeholfen habe, verabschiedet. Bei der Play Group haben wir zunächst eine kleine Geburtstagsfeier geschmissen mit Topfschlagen, Stopp-Tanz, Reise nach Jerusalem und gemeinsamem Kuchenessen. Es war so schön, die Kinder so fröhlich, energiegeladen und lachend herumspringen zu sehen. Vor allem die überspringende Freude bei allen, wenn beim Topfschlagen klirrend der Topf gefunden wurde. Die Kinder haben mir noch ein unvergessliches Ständchen geschmettert und dann, zum Ende hin, haben wir ihnen die Situation erklärt. Die Kinder schienen zunächst etwas bedröppelt und haben weitere Fragen gestellt und vorgeschlagen, dass sie für meine Papiere aufkommen könnten. Ein Junge meinte, er könne mir seine Asyl-Papiere geben. Doch schien sich die Stimmung aufzuhellen, als wir ihnen mitteilten, dass meine Kollegin die Play Group auch ohne mich weiterführen werde.
Am nächsten Tag nach der Arbeit bin ich noch bei meiner Kirche vorbeigefahren. Ich hatte dort sehr viel Zeit in meiner Freizeit verbracht und wollte noch einmal hineinschauen. Als ich jedoch dort ankam, war die Kirche zu, ich durfte stattdessen in die Kapelle gehen. Bevor ich wieder nach Hause ging, hatte ich mich noch von den beiden verabschiedet, die bei der Kirche die Hausmeistertätigkeiten erledigen. Für mich war es immer schön, die beiden zu sehen, wenn ich bei der Kirche ankam oder wieder fuhr. Ich kannte jemanden, zu dem ich gehen konnte, um eine Begrüßung auszutauschen und einfach ein Schwätzchen zu halten. Es hat mir am Anfang ein Gefühl gegeben, in der Gemeinde willkommen zu sein und dazuzugehören. Als ich ihnen davon erzählte und mich dafür bedankte, meinte einer von ihnen, dass ihm das gar nicht so bewusst gewesen sei. Für ihn sei es einfach selbstverständlich und gehöre zu seinem Charakter und seiner Kultur, Menschen freundlich und mit offenen Armen zu begrüßen.
Am folgenden Tag war mein Abflug gegen Abend geplant. Ich war ganz froh, dass ich wenigstens noch bei dem monatlichen Treffen aller Mitarbeitenden dabei sein konnte. Ich konnte alle Mitarbeitenden von Sophiatown Kommunen Psychological Services sehen und mich von ihnen verabschieden. Am Abend, als ich noch bei meiner Kirche war, bekam ich jedoch die Nachricht, dass wir auf einen anderen Flug gebucht worden seien, damit sichergestellt sei, dass wir gut nach Deutschland durchkommen würden. Dieser Flug sollte schon gegen Mittag/Nachmittag gehen, sodass wir am besten schon am Vormittag zum Flughafen kommen sollten. Erneut überkam mich ein Gefühl der Unkontrollierbarkeit der Situation. Ich versuchte auszuhandeln, dass ich noch zu meiner Organisation fahren und etwas später zum Flughafen fahren könnte. Als ich meiner Chefin von der geänderten Zeit erzählte, verschob sie auch das ganze Meeting um eine halbe Stunde nach vorne und ich war froh, dass ich so noch eine Chance hatte, mich persönlich kurz von meinen Kolleginnen und Kollegen verabschieden zu können. Menschen, die ihre Arbeit mit mir geteilt haben, von denen ich eine Menge lernen konnte und mit denen mich schöne Erlebnisse verbinden. Danach ging es direkt zum Flughafen, wo ich auf die anderen Freiwilligen des Welthaus Bielefelds, die in Südafrika waren, und unsere Mentorin getroffen bin. Gemeinsam haben wir eingecheckt und uns mit ganz unterschiedlichen Gefühlen auf den Weg zurück nach Deutschland gemacht.
Nun bin ich seit einigen Wochen bei meinen Eltern in Wedel, finde mich ein in diese auch nicht einfache Lage in Deutschland und genieße dennoch diese gemeinsame spezielle Zeit mit meinen Eltern. Ich dachte mir, dass ich jetzt etwas nachvollziehen kann, was es heißen muss, sein gewohntes Umfeld plötzlich und unerwartet verlassen zu müssen, nur dass ich die Gewissheit hatte, dass mich in Deutschland meine Familie erwartet.
Text und Fotos: Julia Schumann (MaZ)