November 2010
Wir beten für alle Opfer von Abhängigkeiten, dass sie durch die Hilfe christlicher Gemeinschaften und durch die Kraft Gottes, den Mut und die innere Stärke finden, ihr Leben radikal zu ändern.
Abhängigkeiten und Süchte
Wer in unseren Breiten die gesellschaftliche Situation aufmerksam beobachtet, dem wird die Abhängigkeits- und Suchtproblematik vieler Menschen nicht entgehen. Sie hat sich in den letzten Jahren von einem gesellschaftlichen Randphänomen zu einer nicht zu übersehenden Zentralrealität hin entwickelt. Das intensive Studium dieses Phänomens führte zu der Einsicht, dass es sich hierbei nicht einfach um die individuellen Folgen einer persönlichen Willensschwäche, einer Charakterlabilität oder sonstiger moralischer Defizite handelt, sondern um psychophysische Störungen, die als Krankheiten zu werten sind, die jeden Menschen treffen können. Im allgemeinen ist es nicht so einfach, eine reale Sucht und Abhängigkeit zu diagnostizieren, da sie sich nicht von einem Tag auf den anderen, sondern prozesshaft über einen längeren Zeitraum mit fließenden Übergängen zu ihrer bedrückenden und belastenden Gestalt hin entwickeln. Da die Abhängigkeits- und Suchtproblematik immer noch mit einer gesellschaftlichen und sozialen negativen und ausgrenzenden Stigmatisation behaftet ist, wird sie oft von den Betroffenen und ihren Angehörigen, obwohl sich alle Anzeichen einer Erkrankung zeigen, als nicht existent hingestellt. Die Abhängigkeiten und Süchte können in ganz unterschiedlichen Formen und Gestalten auftreten. Menschen können von bestimmten Stoffen oder bestimmten Verhaltensweisen abhängig und nach ihnen süchtig werden. Dementsprechend unterscheidet die Fachwelt zwischen stoffgebundenen Süchten und Abhängigkeiten, wie Alkoholsucht, Nikotinsucht, Drogensucht, Esssucht, Magersucht usw. und verhaltensgebundenen Abhängigkeiten und Süchten, wie Liebessucht, Spielsucht, Arbeitssucht, Sexsucht usw. Die Therapien, die die Therapeuten zur Überwindung und Heilung der verschiedenen gesundheitlichen Störungen dieser Art anwenden, sind sehr verschieden. Alle aber gehen von einer intensiven Mitarbeit der Patientinnen und Patienten aus, die ihre Störungen ungeleugnet und ehrlich als für sich existent anerkennen. Alle betonen auch in diesem Prozess und als Vorbeugung die Entwicklung einer starken, selbstbewussten, stabilen Persönlichkeit, die ein „Doping" in welcher Form auch immer, als Ersatz für fehlende Lebensinhalte und Lebensqualität nicht nötig hat.
Christliche Gemeinschaften
Bei der Therapie von Abhängigkeits- und Suchtkranken haben sich Gruppen, Kreise und Gemeinschaften als sehr hilfreich erwiesen. Der Solidaritätseffekt, den Gruppen, Kreise und Gemeinschaften unter den Patientinnen und Patienten schaffen, wirkt sich sehr positiv für ihre Verhaltensänderung und dauerhafte Heilung aus. Das Gefühl ihrer sozialen Abwertung und ihrer gesellschaftlichen Ausgrenzung baut sich im Kreis und in der Gruppe von Gleichbetroffenen ab und stärkt die Motivation, sich trotz des wegen der Rückfälle erfahrenen Frustes immer wieder neu auf die Herausforderungen des Therapieprozesses einzulassen. Christliche Gruppen, Kreise und Gemeinschaften orientieren sich, wenn sie ihren Namen verdienen, an dem Lebensentwurf und Lebensvollzug Jesu Christi, und an dem Gott, von dem her er sein Leben versteht. Schauen die Patientinnen und Patienten darauf, erfahren sie, dass sie gerade in ihrem Sucht- und ihrem Abhängigkeitsverhalten von Jesus Christus und dem Gott, der sich in ihm zeigt, besonders angenommen, gemocht und geliebt sind. Sie dürfen immer so sein, wie sie gerade sind. Sie brauchen auch in ihrer Therapie um der Bestätigung ihres Selbstwerts willen nichts zu leisten und sich nicht zu überfordern. Es gibt Jemand, der, wenn auch alle Menschen sie aufgeben, an sie „glaubt" und ihre Heilung und ihr Heil will. Das kann zusätzliche Kräfte für den Heilungsprozess freisetzen.
Die Kraft Gottes
Die christliche Sicht der „Kraft Gottes" zeigt sich vor allem im Jesusereignis. Wenn Jesus die Menschen einlädt, sich heilen zu lassen und wenn er sie heilt, tut er es als einer, der selber verwundet ist. Er weiß, wie sich verletztes und verwundetes Leben „anfühlt" und wie es die eigene Existenz kennzeichnet und stigmatisiert. Die Wunden, die ihm sein Leben schlägt, offenbaren sich nach der Auskunft der Evangelien als so zu ihm gehörig, dass sie selbst in seine neue von Gott eröffnete Lebensdimension eingehen und zu seiner Identifizierung dienen. Jesus ist der verwundete Heiler schlechthin. Als solcher nimmt ihn, menschlich gesprochen, Gott in seine Existenz auf und integriert ihn in sich selbst und zeigt sich von nun an auch selbst als verwundeter Heiler. Darin besteht von nun an die Erfahrung der „Kraft Gottes". Sie eröffnet sich als eine Dynamik, die auf der Schiene des Mitleidens das Leid und die damit erfahrenen Wunden von innen her überwindet und heilt. Wer selbst durch die Erfahrung der Abhängigkeit und Süchte verwundet durchs Leben gehen muss und nach Heilung sucht, wird die so verstandene „Kraft Gottes" als eine glaubwürdige und vertrauenswürdige Hilfe und Motivation für seinen Heilungsprozess erleben dürfen.