01. Mär 2007
Wir beten, dass wir Gottes Wort aufmerksam hören und betrachten, lieben und leben.
Von unserer Hoffnung Rechenschaft geben
Woraus wir Hoffnung schöpfen
In dem Beschluss der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland (1971-1975) "Unsere Hoffnung" heißt es sehr treffend: "'Die Welt' braucht keine Verdoppelung ihrer Hoffnungslosigkeit durch Religion; sie braucht und sucht (wenn überhaupt) das Gegengewicht, die Sprengkraft gelebter Hoffnung." (Teil 11,2)
Es geht also nicht darum, die Hoffnungslosigkeit noch zu verstärken, sondern positive Momente aufzuzeigen, die uns Grund zur Hoffnung geben. Und da meine ich, ist gerade die Bibel, die Heilige Schrift, ungemein geeignet, den Menschen eine gültige und tragfähige Hoffnung zu vermitteln - trotz vieler Fragen und Unsicherheiten. Das ganze menschliche Leben kommt in ihr vor, mit seinen Höhen und Tiefen, in seiner Beziehung zu anderen Menschen, zur Natur und allem, was daraus folgt - und schließlich in der absoluten und liebenden Beziehung zu Gott, der über der Geschichte und der ganzen Schöpfung steht. Die Erfahrung des Menschen, dass sein Leben immer wieder bedroht ist; dass er oft nicht in der Lage ist, Gottes Willen zu erfüllen; dass Krieg und Eroberung ganze Völker vernichten; dass der einzelne durch Krankheit und persönliches Elend an den Rand der Verzweiflung geführt wird - all das wird in den unterschiedlichsten biblischen Erzählungen und Büchern reflektiert - aber am Ende steht immer wieder Gott als derjenige, der schließlich alles in der Hand hat und der allein dem Menschen eine andere, eine neue Verheißung zusagt. Wer sich hingegen nur vom Augenschein bzw. der so genannten Realität bestimmen lässt, muss im Grunde irrewerden und an der Sinnhaftigkeit des Lebens und der Welt zweifeln, ja scheitern.
Die Aussage der Kirche in der Enzyklika "Divino afflante Spiritu" (1943, Pius XII.)
"Es ist geziemend und angenehm, es auszusprechen, dass so die Bibelwissenschaft und der Gebrauch der Bibel unter den Katholiken große Fortschritte gemacht haben. Der Grund dafür liegt jedoch nicht bloß in den Einrichtungen, Anordnungen und Ermunterungen Unserer Vorgänger, sondern auch in den Arbeiten und Bemühungen aller derer, die ihnen treu Folge geleistet haben, sei es durch Betrachtung, Forschung und schriftstellerische Tätigkeit, sei es durch Belehrung, Predigt, Übersetzung und Verbreitung der Heiligen Schrift... Diese und andere Unternehmungen... geben uns die sichere Hoffnung, dass auch in Zukunft die Verehrung, der Gebrauch und die Kenntnis der Heiligen Schrift allüberall zum Heil der Seelen mehr und mehr zunehmen werden" (Nr. 11). Damit ist ein großer und bedeutungsvoller Schritt getan in die Richtung, dass die Heilige Schrift mehr zu den Menschen gelangt und so auch für sie zur Quelle des Lebens und zur glaubwürdigen Orientierung für die Suchenden wird. Wer sich darauf einlässt, wird - geführt durch den Heiligen Geist - auch ihren Reichtum und ihre Wahrheit erfahren. Allerdings muss man bei aller positiven Entwicklung und allem Optimismus wohl zugeben, dass wir bei uns Katholiken immer noch ein ziemliches Defizit feststellen müssen, was die inhaltliche Kenntnis und die alltägliche Beschäftigung mit dem Wort Gottes angeht. Immer noch hört man einige sagen: Das verstehe ich nicht; dieser Text ist mir fremd und fern; die Bibel ist doch nur etwas für Theologen oder Fachleute.
Erfahrungen der Basisgemeinschaften
Wie anders dagegen und wie befreiend habe ich in Argentinien und anderswo erfahren, wie sich gerade auch die ganz einfachen Leute auf die biblischen Texte (das Tagesevangelium z. B.) einlassen. Man liest den Text gemeinsam, meditiert darüber, teilt einander seine Wahrnehmungen dazu mit, betet und versucht schließlich noch, einen praktischen Ratschlag für den Alltag bzw. das Handeln aus dem Text zu benennen. Besonders bei kirchlichen Gruppen steht oft das Wort Gottes am Anfang aller Beratungen und Treffen. Es gehört wie selbstverständlich dazu - weil das Leben insgesamt vom Glauben her verstanden und gedeutet wird. Ohne Gott, ohne sich an seinem Willen zu orientieren, geht nichts. Dazu kommt, dass immer mehr Menschen auch an einer entsprechenden Anleitung zum Bibelgespräch und an inhaltlicher Information und Formation interessiert sind. Und es gibt von den kirchlichen Stellen auch sehr gute und verständliche Schriften und Arbeitshilfen dazu, die gerne angenommen werden.
In den Gottesdiensten kann man das immer wieder erfahren, wie die Menschen Zeugnis geben wollen von ihrer Glaubenserfahrung mit dem Wort der Schrift. Predigtgespräche sind daher leichter möglich (als hier bei uns) und - nach meiner Erfahrung - auch für den Prediger ungemein bereichernd. Hier habe ich erfahren, wie Gottes Geist "wirkt, wo er will", auch die Wahrheit des Wortes in Mt 11,25: "Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast."
Kirche wieder als "Hörende" entdecken und erleben
Vielleicht liegt ja gerade darin auch eine Chance für uns als Kirche und die heutige Gesellschaft, die so sehr auf Spezialisierung und Perfektion aus ist, dass wir wieder neu lernen, mehr still zu werden und zuerst zu hören, um dann aus dem gehörten Wort Gottes unser Leben besser und authentischer gestalten und beten zu können. Die einfachen Leute machen es uns vor. Außerdem bin ich davon überzeugt, dass dieser Weg den Suchenden, den "Glaubenslosen", den "Abständigen" wieder einen neuen oder einen ersten Zugang zu Gott eröffnen kann, zu dem Gott, dessen Sohn Jesus Christus wir das "Mensch gewordene Wort Gottes" nennen.
Heinz Schneider SVD, Kommentar zur Allgemeinen Gebetsmeinung März 2007 aus der Zeitschrift "Die Anregung", Ausgabe 2/2007, Steyler Verlag, Nettetal