Missionarische Gebetsmeinung - November 2004

01. Nov 2004

Wir beten, dass alle, die in den Missionen arbeiten, nie vergessen, dass wirksame Glaubensverkündigung persönliche Heiligkeit und innere Christusverbundenheit voraussetzt.

Persönliche Heiligkeit und innere Christusverbundenheit

Als Anfang der 80er Jahre in Guatemala die Repressalien des Militärs auf die Zivilbevölkerung immer unerträglicher wurden, haben sich die Katechisten vom Petén an ihren Bischof gewandt mit der Frage: "Was sollen wir in unserer Situation tun?" Ihr Bischof Jorge Mario Ávila erklärte ihnen, dass die Mord-drohungen, die sie erhalten hatten, praktisch ein Todesurteil seien und dass die Kirche sie nicht wirklich beschützen könne. Daher sehe er sich genötigt, sie ihrer Pflichten als Katechisten zu entbinden; sie sollten bei ihren Familien bleiben und sich weiterhin keine Sorgen mehr um die Gemeinden und die Kirche machen. Daraufhin berieten sich die Katechisten, und ihr Sprecher, der Katechist Longinos, gab dem Bischof folgende Antwort: "Als wir von Ihnen das Ministerium der Katechese übertragen bekamen, hatten Sie uns darauf aufmerksam gemacht, dass wir damit ein Risiko übernehmen würden, des Evan-geliums wegen. Verfolgung sei nicht ausgeschlossen. Und obwohl Sie uns die Forderungen und die Verantwortung dieses Amtes vor Augen gestellt haben, waren wir entschlossen, es anzunehmen. Seit diesem Zeitpunkt sind wir bereit, trotz aller Risiken Christus zu folgen!" Die Katechisten haben ihr Amt nicht aufgegeben. Kaum einer von ihnen hat schließlich die Repressalien der Militärs im Petén überlebt. Sturheit der Indios? Fanatismus einer religiösen Volksfrömmigkeit? Oder wirklich Bindung und innere Verbundenheit mit Christus, die in der Gebetsmeinung dieses Monats als "persönliche Heiligkeit" und "Quelle des Erfolgs der Evangelisierung" bezeichnet wird?
Als dieses Zeugnis beim Amerikanischen Missionskongress in Guatemala vorgestellt wurde, war es mäuschenstill in der Halle. Für die Anwesenden waren die einfachen Indios aus dem Hochland Guate-malas zum Inbegriff für die Glaubwürdigkeit der Evangelisierung geworden. Ihre Arbeit als Katechisten brachte die Leute zusammen und führte durchaus auch zu Veränderungen in der Gesellschaft. Das war für die Machthaber nicht annehmbar. Aufgrund des Beispiels der Indios ergaben sich im Missionskon-gress alle weitere Verteidigung für die Sinnhaftigkeit des Glaubens und der Evangelisierung. Das Blut der Zeugen ist der Same der neuen Christen, schreibt Tertullian schon um 200 n.Chr. (Apologeticus, 50).

Diese Beispiele der Heiligkeit sind befreiend, im Vergleich zur verzweifelten Situation einer Instituti-on, die sich in immer neue Skandale verwickelt und immer unfähiger wird, das Anliegen der Evangeli-sierung auch nur entfernt in die gesellschaftliche Diskussion einzubringen.


Der Platz der Heiligkeit

Wie würde man "Heiligkeit" verstehen, wo ist sie anzusetzen? Es gibt viele schöne Symbole dafür: die Transparenz, das Durchscheinen lassen, die Hinweisfunktion. Sie sind sowohl für das persönliche als auch für das gemeinschaftliche Leben anwendbar. Gewöhnlich hat die Kirche große Probleme damit, Heiligkeit im Alltag und vor allem in der konfliktreichen Wirklichkeit von Gesellschaft und Politik anzuer-kennen. Für solche Heiligkeit muss man schon jemanden aus der Aristokratie späterer Kaiserreiche suchen; Schumann und seine Suche nach europäischer Vereinigung ist eher eine Ausnahme. Die er-mordeten Katechisten von Guatemala - und das sind Tausende! - müssen dagegen die ungezählten Kreuzwegsstationen der Bürokratie auf sich nehmen, bis ihr Einsatz und ihre Hingabe auch in der Kir-che formell gewürdigt und anerkannt werden können. Nicht einmal Erzbischof Romero aus El Salvador ist in den 25 Jahren seit seinem Martyrium so weit gekommen in diesem Prozess. Offensichtlich ist die Politik kein Ambiente für Heiligkeit. Die Staatraison spielt hier eine viel wichtigere Rolle: waren es doch "Katholiken", die diese Mordtaten ausgedacht und durchgeführt haben (man kann sich ein christlich demokratisches Staatsoberhaupt bei der Kanonisierung in Rom kaum vorstellen, war es doch gerade sein Amtsvorgänger, der die Ermordung Romeros veranlasst hat).

Es ist interessant zu beobachten, wie von offiziell kirchlicher Seite immer wieder versucht wird, die Heiligkeit der Kirche zu retten und die Sünden den persönlichen Vergehen zuzuschieben. Das war vor Jahren in der Diskussion um die Inquisition sehr deutlich: Nicht die Kirche, sondern der überzogene und fehlorientierte Eifer einzelner Fanatiker waren angeprangert worden. So gesehen war es logisch, dann auch die Heiligkeit im persönlichen Rahmen anzusetzen. Letztendlich muss jeder einzelne Christ seine innere Verbundenheit mit Christus realisieren und leben. Dann ist es allerdings nicht mehr möglich, die institutionelle Integrität einzufordern.

In Lateinamerika wird es immer offensichtlicher, dass der soziale Bezug und die Kirche als Sauerteig inmitten einer trägen Masse kaum noch verstanden werden. Die Bischofsversammlung von Medellín hatte ursprünglich sehr deutlich auf die gesellschaftliche Struktur verwiesen, die sündhaft sei. Die Rede war von der berühmten "strukturellen Sünde". Seither wurde immer wieder betont, dass es eine solche strukturelle Sündhaftigkeit nicht gebe, sondern dass es immer persönliches Verschulden sei, das zu genau der tristen gesellschaftlichen Situation führe, in der wir uns heute befinden. Je länger darauf be-standen wird, umso klarer wird auch das Unvermögen der Kirche, diese gesellschaftliche Situation wirk-lich zu verstehen und anzusprechen.

Die Lösung ist ein neues Rätsel: Eine Kirche, die aus vielen einzelnen Heiligen besteht, die aber von ihrer Heiligkeit niemanden überzeugen kann. Die Heiligkeit im Persönlichen anzusetzen und auf einen Akkumulierungseffekt für die Institution zu hoffen, hat sich also wenigstens in den letzten Jahrzehnten als Fehlkalkül erwiesen. Denn der persönliche Heilige muss an der Ungerechtigkeit, an denen die ande-ren leiden, vorbeischauen.


Was heißt evangelisieren?

Die Gebetsmeinung verknüpft die persönliche Heiligkeit mit dem Erfolg in der Evangelisierung. Man kann sicher auf viele heilige und annähernd heilige Missionare hinweisen. Manche der unbestreitbar großen Heiligen hatten allerdings keinerlei Erfolg in der Evangelisierung, so zum Beispiel Charles de Foucauld.

Was bedeutet "Erfolg" in der Evangelisierung? Die ideale Vorstellung würde darauf abzielen, dass in der Begegnung mit dem Evangelium eine Kultur und Gesellschaft - und jede Person in ihr - sich so verändert, dass das menschliche Zusammenleben zu einem "Leben in Fülle" wird, in der die Armen und Benachteiligten an die ersten Plätze verwiesen werden, während die Herrschenden zurücktreten und dienen. Sämtliche Beziehungen würden von Erbarmen und Solidarität bestimmt sein, und der Nächste würde in den Mittelpunkt rücken. In lateinamerikanischem Sprachgebrauch wäre das die "integrale Evangelisierung", die nicht im persönlichen Wunsch nach Heiligkeit und Nachfolge aufgeht, sondern gerade auch den sozialen (und politischen) Bereich mit einschließt und auf seine Veränderung hinar-beitet. Wenn dieser Horizont sozialer und politischer Heiligkeit aus der "inneren Verbundenheit mit Chri-stus" ausgeschlossen wird, kann es nicht überraschen, dass die Heiligkeit zur Karikatur wird und unsere Gesellschaft in eine immer schamlosere Korruption verfällt. Die Arbeit an der neuen Welt hier und jetzt braucht die innere und gesellschaftliche Verbundenheit mit Christus, um sich dem Ideal des Gottesreiches annähern zu können.

 
Dieser Beitrag ist entnommen aus der Zeitschrift "DIE ANREGUNG" Ausgabe 6/2004

Christian Tauchner SVD

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