Missionarische Gebetsmeinung - September 2004

01. Sep 2004

Wir beten, dass in Afrika eine gute und segensreiche Zusammenarbeit derer gelingt, die im Aufbau kirchlicher Gemeinden tätig sind.

Lateinamerika ist weit entfernt von Afrika. Es erreichen uns hier die gleichen Bilder von CNN, die auch in der übrigen Welt Vorurteile über Afrika verbreiten. Die Gebetsmeinung dieses Monats hat offenbar recht konkrete Situationen im Blick, die aber von meinem Standpunkt aus in Lateinamerika schwer zu sehen sind. Ich frage mich daher: Was kann diese Gebetsanleitung für uns hier bedeuten?


Schwarzamerika

Die grösste schwarze Bevölkerung der Welt lebt in Nigeria. Welches ist aber das Land mit der zweitgrössten schwarzen Bevölkerung? Nun, das ist Brasilien. Die Rekordliste lässt sich fortsetzen: die erste Demokratie Amerikas wurde Anfang des 19. Jahrhunderts von der schwarzen Bevölkerung in Haiti ausgerufen. Wir erkennen zwei wichtige Pole in der Geschichte Amerikas: Auf der einen Seite die wahnsinnige Zerstörung von Menschen und Kulturen sowie das brutale Zerreißen von Familien und ethnischen Verbindungen. Auf der anderen Seite aber auch das zähe Festhalten an einer Sehnsucht nach Freiheit und Menschenwürde.

Als Anfang der neunziger Jahre in Kolumbien eine neue Verfassung entworfen werden sollte, fanden sich unter den 70 Abgeordneten zwei Indios. Das war ein großer Fortschritt, da man zum ersten Mal bemerkte, dass es in diesem Land auch eine indianische Bevölkerung gibt, die sogar bei der Zukunftsgestaltung des Landes mitreden sollte. Kolumbien mit seinen knapp 30 Millionen Einwohnern hat etwa 12% Indios. Aber es hat auch eine schwarze Bevölkerung, die um die 30% ausmacht. Aber dieses Drittel Kolumbiens war nicht direkt vertreten in der Verfassungsversammlung. Diese Ungleichheit erklärt sich aus der Zerstörung der Familien- und Stammeseinheiten durch den Sklavenhandel und die darauffolgende totale Ausgrenzung. Wer keine Wurzeln hat, kann sich schwer eine Zukunft schaffen. Wobei Wurzeln allein ja auch nicht genug sind, wie man an den Indios Lateinamerikas - und noch viel mehr an denen Nordamerikas - und ihrer Marginalität sieht.

Die Afrikaner sind nicht ohne alles auf die Sklavenschiffe befördert worden. Sie haben ihre Religionen mitgenommen. Die wurden zwar sofort unterdrückt und unter Kontrolle gehalten. Aber sie wurden nicht aufgegeben. In der Karibik und in Brasilien sind die sogenannten afroamerikanischen Kulte sehr stark. Viele der ursprünglich afrikanischen Gottheiten tragen jetzt Namen von Heiligen, aber unter dem Kleid der katholischen Volksfrömmigkeit verbargen sich lang Elemente der angestammten Religion. In Ouro Preto (in der Nähe von Belo Horizonte, Brasilien) kann man noch die bloßen Heiligenstatuen bewundern, die für die Feste reich bekleidet wurden. Diese Figuren haben hinten immer einen Hohlraum, in den man wohl auch die etwaigen Reliquien des Heiligen eingesetzt hat, aber bei vielen schwarzen Bruderschaften wurden auch die ursprünglichen Gottessymbole eingebaut (diese Figuren wurden verboten, als die Herrschaft in Europa merkte, dass in diesen Heiligen von den frailes (Ordensleuten) und Bischöfen auch andere Sachen geschmuggelt wurden). Jetzt herrscht viel mehr Freiheit und man kann allenthalben afroamerikanische Kultstätten und Feiern antreffen, die sogar für Touristen zugänglich sind.


Stigmata

P. Pedro Muamba Tushibikile CICM aus dem Kongo war lange Jahre Missionar in der Dominikanischen Republik. Ihm gefiel es, sich über die unterschiedlichen Wertungen von gleichem Verhalten lustig zu machen. Etwa: wenn ein Schwarzer (die in der Dominikanischen Republik nicht so heißen dürfen, sondern als "dunkel" bezeichnet werden; Schwarze sind die Haitianer, und das ist ein Schimpfwort) den Sonnenuntergang im Meer betrachtet, ist er ein Götzenanbeter oder Faulpelz; wenn der padrecito (Priester, Red.) diesen Sonnenuntergang bewundert, ist er ein Mystiker. Wenn ein Weißer joggt, ist er ein Sportler; wenn ein Schwarzer läuft, folgt ihm der Ruf: "Haltet den Dieb!" Es gibt eine fatale Verbindung von schwarz und kriminell in der Vorstellung der Bevölkerung, die mit der Wirklichkeit so nicht übereinstimmt.

In der Soziologie Lateinamerikas hat es eine Zeit gegeben, in der man von der "Afrikanisierung Lateinamerikas" redete. Die Indikatoren der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung waren so negativ, dass die Zukunft "schwarz" ausschaute. Das Auftreten von vorsintflutlichen Krankheiten wie Cholera, Dengue und die massive Wiederkehr der Malaria sind auch unübersehbare Anzeichen, dass das goldene Zeitalter, das die Propheten des Weltwährungsfonds versprochen hatten, in keiner Weise nähergekommen ist. Vielmehr hat die brasilianische Regierung eines seiner wichtigsten Programme auf "Null Hunger" ausgerichtet, und das meint immerhin so wenig wie eine Mahlzeit pro Tag für viele, die nicht einmal dafür genug haben. Diese Situationen verstand man in Lateinamerika als "afrikanische Zustände".


Wirklichkeitsveränderung

Es gibt allerdings auch positivere "Stigmata": kaum ein brasilianischer Fussballer ist nicht schwarz, die interessanteste Musik der USA kommt immer schon von schwarzen Künstlern.

Leicht werden aber diese Elemente wieder eine Quelle der Ausbeutung: der Karneval von Rio ist ein gutes Beispiel. Als ob die negritude (afrikanische Kultur, Red.) nur Samba, Trance und spärliche Bekleidung wäre. Antônio Aparecido da Silva, ein wichtiger Vorkämpfer der Afrotheologie in Brasilien, fragt sich in einem Buchtitel, ob denn ein "schwarzes Denken" existiere (ja, es existiert).

Die Kirche hat auf verschiedene Weise versucht, der Realität der afroamerikanischen Bevölkerung nahe zu kommen. Es gibt einige Heilige (z. B. Martin von Porres, Pedro Claver), die diesen Schritt ermöglicht haben. Neuerdings versuchen die afroamerikanischen Gemeinschaften, ihren Glauben in ihren eigenen Kategorien zu begreifen. Dazu gibt es Treffen der Afropastoral (EPA) auf verschiedenen Ebenen; im Februar 2003 fand in Lima das neunte lateinamerikanische Treffen statt. Selbst auf Bischofsebene unternimmt man schon solche Bemühungen (das erste Treffen fand 2003 in Quito, Ekuador, statt). Die Frage ist, wie man der afroamerikanischen Bevölkerung kirchlicherseits gerecht werden soll. Es waren schon wichtige Schritte, dass man in den Gottesdiensten typische (folkloristische) Elemente eingeführt oder wenigstens geduldet hat: Die Gabenprozession wird zum Tanz, die Musik darf lange dauern und dröhnen... Bischof Arellano von Esmeraldas, der schwarzen Provinz Ekuadors, hat allerdings seine Zweifel: Solange es beim Folkloristischen bleibe, sei die Sache in Ordnung; sobald es aber mit der Inkulturation ernsthafter werde, erwarte er Schwierigkeiten in der Kirche (!).

Wie sich allerdings die gesamtmenschliche Entwicklung ereignen soll, wenn Bereiche des Menschlichen immer wieder ausgeklammert oder nur im folkloristischen Bereich (vielleicht) zugelassen werden, ist nicht so klar. Das gewaltige und dynamische Wachstum des Christentums in Afrika - leider aber meist außerhalb der katholischen Kirche (in zahlreichen Sekten, Red.) - wäre ein Hinweis darauf, dass der christliche Glaube tatsächlich die Welt verändern kann. Das Hauptinteresse der Kirche und der Glaubensgemeinschaften in Afrika und in Lateinamerika richtet sich ja nicht auf sich selbst und auf die eigenen Glaubensgemeinschaften, sondern auf das Gemeinwohl der Menschen: Dass sie Leben haben, und in Fülle. Diese Fülle ist wohl auch eine der zentralen Leitideen afrikanischer Identität. Zu dieser Fülle können alle beitragen.


Dieser Beitrag ist entnommen aus der Zeitschrift "DIE ANREGUNG" Ausgabe 5/2004

Christian Tauchner SVD

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