Versöhnungsgottesdienst
Schuld und Vergebung
Nicht schuldig
Als beim Nürnberger Prozess 1945/46 die Hauptverantwortlichen für den 2. Weltkrieg verurteilt werden sollten, bekannten sie sich im Sinne der Anklage für nicht schuldig. Viele Menschen im Lande fragten sich, wer dann noch als schuldig zu bezeichnen sei, wenn Männer, die den Tod von Millionen von Menschen zu verantworten hatten, sich für „nicht schuldig“ erklärten.
Hier offenbarte sich in extremen Fällen, was dem Menschen schlechthin innewohnt: eine Handlung oder Tat, die böse Folgen hatte, zu entschuldigen, zu verharmlosen oder auf andere abzuwälzen. Schon im Paradies nach dem Sündenfall gibt Adam auf die Frage Gottes: „Hast du von dem Baum gegessen, von dem zu essen ich dir verboten hatte?“ (Gen 3,11) der Eva die Schuld, und diese reicht die Schuld weiter an die Schlange, denn die „hat mich verführt, so habe ich gegessen“, (V. 13) sagt Eva.
Wenn das so ist und ·diese „Untugend“ so weit zurückreicht, darf es da verwundern, wenn viele Menschen heute trotz dieses oder jenes Versagens die Überzeugung haben, „nicht schuldig“ zu sein? In der Tat werden ja auch sogar vor Gericht schuldmindernde Umstände oder Gründe (durch Gerichtspsychologen z. B. wissenschaftlich festgestellt) anerkannt. Wir wissen ja auch selbst aus Erfahrung, dass wir – etwa bei einem Autounfall – wirklich unschuldig oder nur teilschuldig sein können. Rechtfertigt dies aber die Behauptung vieler, dass es so gut wie keinen Fall im menschlichen Leben gibt, wo man in voller Verantwortung schuldig werden könnte? Die Behauptung steht: Es gibt immer Entschuldigungsgründe!
Schuld eingestehen
Jeder weiß, dass es Situationen in seinem Leben gibt bzw. gegeben hat, wo er sicher falsch gehandelt hat, obschon er hätte anders handeln können. Sei es nun, dass man diesem oder jenem „Freund“ eins auswischen, einen „Denkzettel“ geben wollte oder z. B. auf der Autobahn nicht auf das prickelnde Gefühl, das u. U. bei hoher Geschwindigkeit auftritt, verzichten wollte, obschon Geschwindigkeitsbeschränkung angegeben war. Vielleicht hat man nicht an die Folgen gedacht, aber sie sind eingetreten. Dort machte man einen gutmütigen Menschen „moralisch fertig“, und hier wurde ein Autounfall verursacht, Menschenleben gefährdet, verletzt - vielleicht querschnittgelähmt – oder gar geopfert … (vom Materialschaden ganz zu schweigen). Die Reaktion: Das habe ich nicht gewollt, kommt zu spät. Die Entschuldigung: Ich konnte nicht mehr bremsen, zählt nicht. Die Entscheidung zum schuldhaften Verhalten liegt vorher, beim ersten Verkehrszeichen für Geschwindigkeitsbeschränkung musste das innere Warnblinkzeichen aufleuchten! Keinem fällt es leicht, Schuld einzugestehen ohne Ausflüchte und Ausreden. Wer jedoch von Schuld freikommen will, dem bleibt kein anderer Weg.
Schuld, echt zu verantwortende Schuld, muss jeder zunächst einmal vor sich selbst eingestehen, das ist der erste Schritt. Der zweite Schritt ist, zu dieser Schuld stehen, d. h. der Folgen auf sich nehmen - wenigstens die Absicht haben - und dann zu dem gehen, gegenüber dem man schuldig geworden ist. Ein solcher Mensch wird um Vergebung, um Ent-schuldigung bitten.
Letztlich ist jedes Vergehen gegen die Schöpfung, erst recht gegen die Krone der Schöpfung, den Menschen, auch eine Beleidigung des Schöpfers selbst. Nur wer das sieht und anerkennt, kann sich dann niederknien und um Vergebung bitten: „Pater, peccavi.“ Wer so in die Schule Gottes geht, wird Sünde auch Sünde nennen. Dann kann man nicht wegschauen, nach Ausreden und Verniedlichungen Ausschau halten, sondern bekennen, was Sache ist. Ein solcher Mensch wird dann allerdings auch erfahren, dass Gott nicht ein Gott der Rache und des Verderbens, sondern ein Gott der Liebe und der Güte ist, der nicht den Tod des Sünders will, sondern dass er sich bekehre und lebe. „Gottes Art, mit seiner rebellischen Schöpfung umzugehen“, zeigt er am deutlichsten in seiner Hingabe am Kreuz (Bischof Wanke). Hier offenbart sich der Gott des Erbarmens.
Vergebung
Wir sind heute nicht nur hierhergekommen, um unsere Schuld einzugestehen, um Sünde wirklich Sünde zu nennen, wir sind hergekommen, um uns ent-schuldigen zu lassen, um Gottes Vergebung zu erbitten. Versöhnungsbereitschaft und Umkehr fordert Jesus von jedem, der von Gott Vergebung erwartet. Nur wer bereit ist, auf seine Mitmenschen zuzugehen, auch ihnen Vergebung zu schenken, gut mit ihnen zu sein, kann auf Gottes Barmherzigkeit hoffen.
Wenn wir nun unser Leben überdenken, unser Gewissen erforschen, sollte es nicht nur ein theoretisches Überlegen sein. Ganz praktisch können und sollen wir aus den Fehlern lernen, Konsequenzen für unser Leben ziehen, nicht bei den Fehlern hängenbleiben, sondern das Vorfeld auch mit einbeziehen. (Denken Sie an die Geschwindigkeitsbeschränkung!)
Und noch etwas: Wir sind Menschen, mit allen möglichen Mängeln behaftet. Wenn wir auf Grund unserer Erfahrungen wissen, dass wir wieder in diesen oder jenen Fehler fallen werden, sollten wir nicht mutlos werden. Vielleicht ist es auch ein „Stachel im Fleische“ (Paulus), der uns immer wieder antreibt, den Weg zu Gott zu finden. Könnte es nicht auch sein, dass wir zu sehr auf uns selbst und unsere Kräfte bauen? Müssten wir uns nicht IHM, Jesus Christus, mehr überlassen, dass ER uns forme? In dem Maße, wie wir das tun, wird sich in uns etwas wandeln, vielleicht zunächst unmerklich, aber sicher: Wir erfahren das Erbarmen des liebenden Vatergottes durch Jesus Christus. Der Prozess der Reifung hat dann begonnen und tritt vielleicht sogar in die Endphase. Mut und Vertrauen gehören dazu. Wenn wir uns auf IHN einlassen, wird ER uns beschenken.
[Anmerkung der Redaktion: Die von P. Demes verfasste Predigt wurde bereits veröffentlicht in: DIE ANREGUNG, Nettetal 1992; S. 116ff]