Aschermittwoch

Predigtimpuls

Sind wir noch zu begeistern?

1. Lesung: Joel 2,12-18
2. Lesung: 2Kor 5,20-6,2
Evangelium: Mt 6,1-6.16-18

„Alle Jahre wieder“ – so haben wir im Gottesdienst zu Heiligabend im Hospiz gesungen. Die meisten der Bewohnerinnen und Bewohner sangen mit oder waren berührt von den Klängen des vertrauten Liedes. Eine Patientin war in anderer Weise berührt und brachte das anschließend auch ins Wort: „Für mich gibt es kein „Alle Jahre wieder“ mehr.“ Dieser Satz geht mir nicht mehr aus dem Sinn und drängte sich geradezu auf bei der Vorbereitung dieses Gottesdienstes zu Aschermittwoch. Den begehen wir auch „Alle Jahre wieder“.
Alle Jahre wieder lassen wir uns aufrufen zur Umkehr.
Alle Jahre wieder empfangen wir das Aschekreuz und hören dazu „Gedenke, Mensch, dass du Staub bist und zum Staub zurückkehren wirst“ oder eine ähnliche Formel.
Alle Jahre wieder brechen wir mit dem besten Willen und in der besten Absicht auf zum Weg auf Ostern hin, um Auferstehung, um das Leben zu feiern.
Alle Jahre wieder suche ich nach Bildern in Zeichen oder Geschichten, um begreifbarer, bewusster zu machen, worum es in den vierzig Tagen, die vor uns liegen, geht – nicht zuletzt, um es mir selbst begreifbarer und bewusster zu machen.
Das hat auch vor über hundert Jahren Albert Schweitzer in einer Predigt mit einem „Letzten Wort an die Neukonfirmierten“ versucht: „Ihr wisst, dass im Innern von Afrika die Schlafkrankheit herrscht. Zuerst werden die Leute nur ein klein wenig matt, dann immer mehr und mehr, bi sie zuletzt immer wieder schlafend daliegen und an Entkräftung sterben. Der berühmte Professor Koch aus Berlin war vor eineinhalb Jahren – [die Predigt hielt Schweitzer am 4. April 1909] – in jenen Gegenden, um die Schlafkrankheiten zu studieren und entdeckte die Anfänge des Übels an vielen, die ihn deshalb auslachten und sagten, sie fühlten sich ganz wohl, und er wusste doch ganz sicher, dass sie schon angesteckt waren und bedauerte, dass sie sich nicht in Pflege begeben wollten. So gibt es auch eine Schlafkrankheit der Seele, bei der die Hauptgefahr ist, dass man sie nicht kommen fühlt, darum müsst ihr auf euch achten. Und wie ihr die geringste Gleichgültigkeit an euch merkt und gewahr werdet, wie ein gewisser Ernst, eine Sehnsucht, eine Begeisterungsfähigkeit in euch abnimmt, dann müsst ihr über euch erschrecken und klarwerden, dass das davon kommt, dass eure Seele Schaden gelitten.“
Es hat sich offensichtlich nicht viel geändert vom 9. Jahrhundert vor Christus – das ist die älteste Datierung zum Propheten Joel – über die Anfänge des letzten Jahrhunderts bis heute. Denn der Ruf zum wachsamen Blick auf unser Leben, wie wir es gestalten, hat war angesagt, ist es auch heute in einer Gesellschaft, in der es doch bei allzu vielen Menschen darum geht, zu schauen, wo sie bleiben, wie sie zu ihrem Recht und wenn möglich darüber hinaus zu ihrem Spaß kommen, und wird es auch in Zukunft noch sein.
Alle Jahre wieder versucht die Fastenzeit, die Bremse reinzuhauen, uns zu animieren, mal auf die Bremse zu treten bei unserer Lebensfahrt, idealerweise nicht nur die Fahrt zu verlangsamen, sondern mal anzuhalten, um zu gucken, wie und wohin bin ich denn unterwegs und sich gegebenenfalls neu zu orientieren. Zu meinen Lieblingsliedern im Gotteslob zählt „Sonne der Gerechtigkeit“, speziell die zweite Strophe, in der es heißt: „Weck die tote Christenheit aus dem Schlaf der Sicherheit“. Sich in Sicherheit wiegen hat ja einerseits was Wohltuendes und Entspannendes, gibt uns einerseits das schöne Gefühl von Geborgenheit – was soll uns schon Schlimmes passieren? Andererseits, das erleben wir gerade in den letzten Wochen, kann so eine Ruhe recht trügerisch sein, mitunter die Ruhe vor dem Sturm. Und so ein Sturm macht mit der Sicherheit ganz schnell ein Ende.
Unser Ende ist es nicht, was Gott für uns will, ganz im Gegenteil. Unser Gott ist ein Gott des Anfangs, des „Immer-wieder-neu-anfangen-Könnens, des Aufbruchs und des Lebens. Deshalb sind der Aschermittwoch und die kommenden Wochen kein Aufruf, sich ins Heulen, Klagen und Trauern zu stürzen, sondern ein Weckruf ins Leben – alle Jahre wieder. Und wer nicht bereit ist zum Aufbruch aus lähmender Gewöhnung, verpasst womöglich das Leben, das für ihn bereitet ist und für das umgekehrt er/sie bereitet ist, dringt nicht zum innersten Kern, zum Sinn seines/ihres Lebens vor.
„Und wie ihr die geringste Gleichgültigkeit an euch merkt und gewahr werdet, wie ein gewisser Ernst, eine Sehnsucht, eine Begeisterungsfähigkeit in euch abnimmt, dann müsst ihr über euch erschrecken und klarwerden, dass das davon kommt, dass eure Seele Schaden gelitten.“ In diesen Worten Albert Schweitzers begegnen uns vier Schlüsselbegriffe, die uns helfen können, uns motivieren können, dem Weckruf zum Leben, wie Gott es für uns will, den Weckruf zu einem erfüllten Leben, zu folgen.
Da ist zunächst die Gleichgültigkeit. Ganz schnell und unbemerkt schleicht sie sich manchmal ein. Da gehe ich formal ganz korrekt mit Menschen um, sie tun mir nichts Böses, ich tue ihnen nichts Böses, aber sie interessieren sich nicht wirklich für mich und ich mich nicht für sie. Ich hasse sie nicht, habe nichts gegen sie, aber ihre Ängste, ihre Sorgen, ihre Freuden – sie berühren mich nicht. Wenn wir dieser Gleichgültigkeit gewahr werden, dann sollen wir aufschrecken, wach werden. Das ist der Weckruf der Fastenzeit.
Und dann ist da, durchaus in Zusammenhang mit der Gleichgültigkeit, der Ernst. Wenn ich den anderen nicht ernst nehme, laufe ich Gefahr, ihm nicht gerecht zu werden. Da kommt jemand mit einem Anliegen zu mir, ihm wichtig, mir nicht so, weshalb ich es, besser gesagt, ihn abwimmle, vertröste. Wie schnell übersehe ich das Wesentliche, weil ich nicht mit dem nötigen Ernst bei der Sache bin, deshalb Wesentliches und Unwesentliches nicht mehr gut voneinander unterscheide. Wenn wir das feststellen, dann sollen wir aufschrecken, wach werden. Das ist der Weckruf der Fastenzeit.
Dann ist da die Sehnsucht. Manchmal wird sie abgetan als etwas für die, die noch jung oder mit ihrer momentanen Situation unzufrieden sind. Aber haben wir nicht alle Grund uns zu sehnen – nach mehr Frieden, mehr Gerechtigkeit, mehr Freude in dieser Welt? Wäre es nicht schön, wenn uns die Sehnsucht danach antreiben würde, immer wieder neue Schritte in diese Richtung zu gehen, letztlich in die Richtung des Reiches Gottes, das so Stück für Stück aufgebaut wird, auch durch uns? Wenn wir keine Sehnsucht mehr in uns spüren, dann sollten wir aufschrecken, wach werden. Das ist der Weckruf der Fastenzeit.
Und schließlich ist da die Begeisterungsfähigkeit. Sie wiederum hängt mit der Sehnsucht zusammen. Sind wir noch zu begeistern oder haben wir längst resigniert, weil wir eh nichts ändern können? Der Geist Gottes, der Geist der Liebe, des Mutes, des Trostes – erfüllt er uns noch, treibt er uns noch an? Wenn nicht, dann sollten wir aufschrecken, wach werden. Das ist der Weckruf der Fastenzeit.
In den nächsten Wochen geht es nicht darum, dass wir möglichst große Opfer bringen, möglichst viel leiden und entbehren. Es geht darum, Fesseln der Gewohnheit aufzubrechen. Es geht darum, uns auf einen neuen Weg zu machen, umzukehren zum Leben, zu einem erfüllten Leben für uns für alle. Damit könnte ich jetzt schließen, aber ich kann das nicht so einfach, dazu bewegt mich der Satz der eingangs zitierten Frau zu sehr. Aber es ist nicht nur der Satz, sondern der Gedanke, den er auch und vor allem in mir hervorgerufen hat jetzt zu Beginn der Fastenzeit 2024: Irgendwie, denke ich mir, sind wir alle in einer ähnlichen Situation, im Hospiz unseres Lebens, mit unserer Endlichkeit konfrontiert. Die Fastenzeit gibt uns eine Ahnung davon, sie gibt uns aber auch eine Ahnung von der Hoffnung auf Leben, uns geschenkt durch Ostern. Und wir brauchen nicht traurig und klagend den Weg durch die nächsten Wochen zu gehen und das Leben überhaupt zu gehen – wir gehen schließlich der Auferstehung entgegen, alle Jahre wieder.

Maria Gleißl, Leitung der Krankenpastoral Erding;

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