Hochfest der Verkündigung des Herrn

Predigtimpuls

Marienbilder (Lk 1,26-38)

1. Lesung: Jes 7,10-14
2. Lesung: Hebr 10,4-10
Evangelium: Lk 1,20-38
Zum Kantillieren des Evangeliums: www.stuerber.de

Wer war diese Maria aus Nazareth? Jungfrau und Mutter Jesu oder kritische Prophetin und kraftvolle junge Frau? Über Maria, Josef und die Kindheit Jesu lesen wir in den Evangelien nur wenig. Das Markus- und Johannesevangelium schreiben nichts darüber. Bei Matthäus und Lukas wird in den Kindheitserzählungen über die Geburt Jesu, sein Elternhaus und seine Kindheit berichtet. Leider sind wir gewohnt, beide Evangelien zusammen zu lesen, obwohl sie verschiedene Akzente setzen.
In der Erzählung des Matthäus ist Josef die Zentralfigur. Das Evangelium beginnt mit einem Stammbaum, der zeigt, dass Jesus über Josef von David abstammt. Während der Verlobungszeit wird Maria, die zukünftige Frau Josefs, schwanger und kommt in den Verdacht, einen Fehltritt begangen zu haben. Josef, ein ,,Gerechter“, will seine Verlobte nicht bloßstellen und sich ohne Aufsehen von ihr trennen. Da klärt ihn ein Engel über das Geheimnis der Geburt Jesu auf, und Josef nimmt die schwangere Frau in sein Haus.
Nach der Geburt des Kindes wird Josef in einer zweiten Botschaft vom Engel aufgefordert, mit Maria und dem Kind nach Ägypten zu fliehen.
Der Verfasser des Lukasevangeliums hat sich offenbar woanders umgehört und andere Quellen erschlossen. Er interessierte sich mehr für die Mutter und die mütterliche Linie Jesu und stellte Maria in den Mittelpunkt seiner Kindheitsgeschichte. Obwohl die Bibelwissenschaftler darauf hinweisen, dass es in den Evangelien theologische Konzepte gibt, die keinen Anspruch auf historische Richtigkeit erheben können, sollte dennoch der Versuch unternommen werden, theologische Übermalungen abzuwischen und Konturen der Mutter Jesu hervortreten zu lassen.
Gleich zu Beginn wird von einem Priesterehepaar, Elisabeth und Zacharias, erzählt Elisabeth, eine Verwandte Marias von Nazareth, stammt aus dem Geschlecht Aarons. Sie erwartet, trotz ihres fortgeschrittenen Alters, ein Kind. Die Erzählung ist der heutigen Evangelienstelle ähnlich. Beide Male erscheint Gabriel als Bote Gottes. Dieser Bote Gabriel deutet im Buch Daniel eine Vision vom Ende der Zeit. Es ist anzunehmen, dass sowohl der schriftkundige Priester Zacharias als auch die in den religiösen Büchern ihres Volkes bewanderte junge Frau Maria aus Nazareth verstanden, was damit gemeint war. Es war die Ankündigung eines endzeitlich-apokalyptischen Ereignisses, das auf den Untergang Israels hindeutete.
Maria, die junge Verwandte Elisabeths, fragt den Boten Gabriel nach dem Kind und seiner Zukunft. Seine Antwort überzeugt sie: „Für Gott ist nichts unmöglich!“ Maria stimmt dem Geschehen zu und wird Partnerin Gottes. Der Eindruck, dass wir es hier mit einer aktiven und selbstbewussten Frau zu tun haben, verstärkt sich, wenn wir der Erzählung weiter folgen.
Ohne ihren zukünftigen Ehemann Josef zu fragen, macht sie sich auf die weite, gefährliche Reise zu ihrer Verwandten. Mit dem Magnificat, das der Verfasser des Lukasevangeliums Maria im Haus des Zacharias und der Elisabeth sprechen lässt, stellt er sie als eine junge Jüdin vor, die sich in der Tradition der Mütter und Väter Israels auskennt. Mirjam, die prophetische Führerin Israels und Schwester Aarons, zeigt sich vor unseren Augen. Mit einem Lied hat sie einst die wunderbare Errettung der Israeliten aus der ägyptischen Sklaverei bejubelt. Deutet das nicht auf den kämpferischen Geist Marias hin und wird sie damit nicht in die Befreiungstradition hineingenommen?

Maria, ein Vorbild für Frauen?
Mit dem Bild der Jungfräulichkeit bei der Verkündigung der Geburt Jesu wird an die Messiasweissagung bei Jesaja angeknüpft: „Seht, die junge Frau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären und sie wird ihm den Namen Immanuel (Gott-mit-uns) geben“ (Jes 7,14). Da die griechische Übersetzung des Alten Testaments, die Septuaginta, das in dieser Stelle gebrauchte hebräische Wort „alma“ in der Bedeutung „Jungfrau“ übersetzte, wurde eine andere, auch möglich Übersetzung „junge Frau“ bis in unsere Zeit nicht mehr gebraucht.
Eine biologistische Deutung dieses Jungfrauenmotivs hat so manches an Sinngehalt verdrängt. Im Zusammenhang des Lukasevangeliums ist es Ausdruck göttlicher Größe, die noch Elisabeths späte Mutterschaft übersteigert. Dass auch hier die Fähigkeit der Frau, Spenderin des Lebens zu sein, angesprochen ist, wurde weniger gesehen, sondern zugunsten einer leibfeindlichen Sexualmoral verdrängt.
Die wenigen Geschichten im Lukasevangelium, in denen die Mutter Jesu vorkommt, lassen aber auch eine andere Maria vor unsern Augen erstehen als die, welche wir aus unserer katholischen Tradition kennen:
die torakundige, fromme Jüdin Mirjam, die selbstbewusst und mutig mit ihrem Ja ihr Einverständnis zum Heilsplan Gottes mit den Menschen gibt.

[Anmerkung der Redaktion: Die von Fr. Fessler verfasste Predigt wurde bereits veröffentlicht in: DIE ANREGUNG, Nettetal 1996; S. 106ff]

Eva Fessler

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