Dreifaltigkeitssonntag (H)

Predigtimpuls

Das Geheimnis des dreifaltigen Gottes

1. Lesung: Ex 34,4b.5-6.8-9
2. Lesung: 2Kor 13,11-13
Evangelium: Joh 3,16-18

Jahr für Jahr schreitet die Kirche in ihren Hauptfesten die wichtigsten Stationen des christlichen Heilsmysteriums ab. Nachdem sie den Bogen gespannt hat von Weihnachten über die Taufe Jesu, Gründonnerstag, Karfreitag, Ostern, Christi Himmelfahrt bis Pfingsten, hebt sie mit dem heutigen Fest gleichsam die Augen auf zu dem, der dies alles ins Werk gesetzt hat: zum heiligen, dreifaltigen Gott; zum Vater, der all das gewirkt hat durch seinen Sohn im Heiligen Geist.
Diese Rede vom dreifaltigen Gott – mit anderen Worten: von dem einen Gott in drei Personen – macht viele Christen wohl eher verlegen. Ihr haftet der Geruch einer recht abseitigen und abgehobenen Spekulation von Theologen über Gott an, die zum einen kaum nachvollziehbar ist und zum anderen mit dem konkreten, erdnahen Glauben des normalen Christenmenschen reichlich wenig zu tun hat.
Doch ist das auch so? Ich meine: nein. Im Gegenteil: Das Geheimnis des dreifaltigen Gottes - das wir mit Worten wie ,,ein Gott in drei Personen“ mehr hilflos stammelnd als wirklich begreifend auszudrücken suchen – dieses Geheimnis ist, recht verstanden, der eigentliche Schlüssel zum wahren Selbstverständnis des Menschen. Denn wenn es wahr ist, dass der Mensch Abbild Gottes ist, dann gilt für ihn wie für jedes Abbild: nur von seinem Urbild her wird sich ihm letztlich erschließen, wer er ist und wie er leben muss, um sein Menschsein wahrhaft zu verwirklichen. Dies vorausgesetzt, könnte man da nicht auch einmal den umgekehrten Weg zu beschreiten suchen, nämlich vom Menschen her einen Weg zum besseren Verständnis des göttlichen Dreifaltigkeitsgeheimnisses zu bahnen? Nicht um zu meinen, am Ende des Weges wäre Gott dann endlich begriffen, sondern um immerhin zu erahnen: so, genau so, nein: in unendlich überbietender und daher unbegreiflicher Fülle ist Gott genau so, wie wir selbst im Alltag erleben: so und nicht anders „geht“ Menschsein. Natürlich muss uns dabei bewusst bleiben: Erst auf Grund der Selbstoffenbarung Gottes können wir um sein Geheimnis als Vater, Sohn und Geist wissen; nachdem er sich uns aber so erschlossen hat, mag ein solcher Weg vielleicht gangbar und zumindest einen Versuch wert sein.
Sie alle kennen die Geschichte von dem auf einer einsamen Insel gestrandeten Robinson Crusoe. So idyllisch-romantisch sein Dasein auf dem paradiesischen Eiland ist – es ist wie eine Erlösung aus seiner Einsamkeit, als er nach Jahren Freitag aus der Hand der Kannibalen befreit und in ihm einen Gesellschafter findet.
Genau dies, dass nämlich der Mensch auf Dauer nur in Beziehung und liebender Gemeinschaft leben kann, bestätigt noch eindrücklicher jenes grausige Experiment, das von Kaiser Friedrich II. überliefert ist. Um die menschliche Ursprache herauszufinden, ließ er bekanntlich einige Säuglinge zwar aufs Beste versorgen, verbot aber den Ammen, auch nur ein Wort mit ihnen zu sprechen oder ihnen andere Zeichen menschlicher Zuneigung zu geben. Was für diese Kinder mit dem physischen Tod endete, erleben besonders viele alte Menschen heute als „sozialen Tod“: allein, einsam, im Stich gelassen, ohne Besuche, hier und da vielleicht noch ein Telefongespräch, manchmal fast gänzliche Kommunikationslosigkeit – ein Leben, das oft mehr einem dumpfen Dahinvegetieren gleicht als einem menschlichen Leben. (Auf welche Probleme wir, nebenbei gesagt, in Deutschland mit dem immer mehr um sich greifenden Single-Dasein zusteuern, wenn diese Menschen einmal alt sein werden, kann schon jetzt mit Grauen erfüllen.)
Dieses Wissen, dass, überspitzt gesagt, ein Mensch kein Mensch ist, weil er so nicht wirklich leben und sich entfalten kann, hat allerdings auch schon das Alte Testament gehabt.
Man mag darüber streiten, ob es eine nur im Paradies von so etwas wie Enttäuschung, Verzweiflung oder ähnlichen Gefühlen zu reden. Aber etwas von dieser Art muss nach der biblischen Erzählung Adam wohl empfunden haben. Denn als er auf der Suche nach einem ihm entsprechenden Partner von Tier zu Tier ging und alle mit Namen benannte, musste er nun immer wieder aufs Neue enttäuscht feststellen, dass keines einen passenden Begleiter für ihn abgeben würde. Wie eine befreiende Erlösung klingt es, als Gott ihm endlich Eva zuführt: „Das endlich ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch.“ Und beide (bzw. genauer: ihre Nachfahren) werden Vater und Mutter verlassen, um ein Fleisch zu werden.
Alles bisher Gesagte, besonders aber dieses Eins werden in der Zweiheit von Mann und Frau, lässt erahnen, dass das Zueinander von Einheit und Vielheit auch zum Geheimnis des Menschen gehört. In keinem Lied der Weltliteratur ist dieses Geheimnis der Liebe so schön besungen worden wie im Hohenlied des Alten Testaments. Und doch ist die Liebe zu zweit noch nicht das Letzte. Ihr fehlt noch etwas. Sie ist gleichsam nur zweidimensional. Die Liebenden stehen sich nur gegenüber; jeder liebt etwas anderes als der Partner: nämlich der Mann die Frau und die Frau den Mann. Was ihnen fehlt, ist eine gemeinsame Blickrichtung ihrer Liebe; und das heißt: ihnen fehlt ein gemeinsamer und gleichwertiger Gegenstand ihrer Liebe. Daher muss sich ihre Zweierbeziehung, um sich erfüllen zu können, noch einmal öffnen auf einen Dritten hin, den „condilectus“, wie ihn ein mittelalterlicher Theologe (Richard von St. Victor) genannt hat; übersetzt: auf den gemeinsam Geliebten hin. Dies geschieht in der Ehe vor allem im Kind (weswegen auch eine christliche Ehe ohne wenigstens die Bereitschaft zum Kind nicht gültig zustande kommt).
Das Kind ist die überwältigende Frucht ihrer Liebe und als solche der bleibende Beweis ihres Eins(gewesen)seins, behaftet mit den Zügen beider, aber zu einer neuen, eigenständigen Person geworden. Erst jetzt ist die „Enge“ der Zweierbeziehung gesprengt, die Dreidimensionalität eröffnet, die Tür zu einem unabsehbaren Raum (weiterer Nachkommenschaft) aufgestoßen, die Liebe zu ihrer Fülle gekommen.
Die Familie, die Beziehung von Mann, Frau und Kind(ern) und ihr Für-einander-Dasein sind wohl das sprechendste Gleichnis, das Gott als geschöpfliches Abbild seines dreieinigen Lebens in die Schöpfung hineingelegt hat. Dieses Bild hat natürlich seine Grenzen und seine Problematik; denn es kann dazu verführen, sich den einen Gott doch eher als eine Gemeinschaft von drei Göttern vorzustellen. Aber hier muss unsere Vorstellungskraft überhaupt versagen, und genau das entspricht ja auch dem Geheimnis Gottes. Aber was uns das Abbild über das Urbild sagen kann, ist zumindest dies:
Dass der Mensch wesentlich Beziehungswesen ist, dass er ohne Für-einander-Dasein – ich für andere, andere für mich- nicht existieren kann, hat seinen tiefsten Grund darin, dass Gott selbst wesentlich Beziehung ist. Er ist eben nicht jener einsame Einperson-Gott, wie ihn Islam und auch Judentum verehren. Ein solcher Gott müsste sich geradezu selbst erlösen aus seiner Einsamkeit, indem er sich ein Gegenüber, eine Welt erschuf. Er wäre ihrer bedürftig, weil er allererst durch sie in Beziehung treten und damit lieben könnte. Verhielte es sich so, käme man kaum umhin zu behaupten: Erst durch die Schöpfung kommt Gott zu sich und findet er seine Erfüllung und Vollkommenheit als ein Liebender.
Doch gerade das ist nicht christlicher Glaube. Denn nach diesem ist Gott schon in sich absolute, unbedürftige Vollkommenheit; und er kann es sein, weil er als der eine schon in sich Beziehung, liebende Gemeinschaft von Vater, Sohn und Heiliger Geist ist. Nur deswegen auch kann der 1. Johannesbrief als Gipfel aller möglichen Aussagen über Gott schreiben, dass er nicht nur Liebe hat, sondern Liebe ist (1Joh 4,8.16).
Weil aber Gott Liebe ist - nämlich ewige, selbstvergessene Hingabe des Vaters an den Sohn im Heiligen Geist; ewige, selbstvergessen-dankbare Rückgabe des Sohnes an den Vater im selben Heiligen Geist; und ewige, selbstvergessene Übergabe des Heiligen Geistes an Vater und Sohn – darum ist der Sinn allen Seins und Daseins ebenfalls nichts anderes als die Liebe. Wer nicht liebt, verfehlt den Sinn seiner Existenz, mag er ansonsten noch so Großartiges leisten (vgl. 1Kor 1-3). Damit aber wird deutlich, wie hier Orthodoxie übergeht in Orthopraxie, wie der Glaube an Gott den Dreifaltigen zum Schlüssel für mein Lebensprogramm als Christ wird, wie das Abbild sich nur erfüllt in Nachahmung des Urbildes.

[Anmerkung der Redaktion: Die von Kaplan Windolf verfasste Predigt wurde bereits veröffentlicht in: DIE ANREGUNG, Nettetal 1996; S. 227ff]

Bodo Windolf, Kaplan
 

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