2. Adventssonntag (B)

Besinnung

pax christi - Friedensfragen

                                                                                                                   „O Heiland, reiß die Himmel auf“

Gedanken zum Lied „O Heiland, reiß die Himmel auf“

1) O Heiland, reiß die Himmel auf,
herab, herab vom Himmel lauf,
reiß ab vom Himmel Tor und Tür,
reiß ab, wo Schloss und Riegel für.

Das Lied „O Heiland, reiß die Himmel auf“ ist Advent pur. Das heißt: Es besingt den Advent ohne die Routine des „Alle Jahre wieder“, ohne immer schon zu wissen, wie’s ausgeht, ohne das Happy End von Weihnachten schon zu kennen. Advent pur, das heißt: Advent in seiner ganzen Härte, in seiner schmerzhaften Unerfülltheit, in jener sehnsuchtsvollen Spannung, von der das Lied „O Heiland, reiß die Himmel auf“ durchzogen ist. Hier singen Christinnen und Christen, als ob es Christus selbst noch gar nicht gegeben hätte. Dass der Advent Christi, sein Ankommen auf der Erde in Menschengestalt, sich schon vor langer Zeit zugetragen hat, wird mit keiner Silbe erwähnt. Wie kommt es, dass ein christlicher Autor – der Jesuit Friedrich von Spee (1591–1635) gilt als einer der berühmtesten katholischen Barockdichter – die längst geschehene Menschwerdung Gottes so ausblendet?

Als das Lied vor fast genau vierhundert Jahren (1622) erstmals erschien, stand es nicht in einem Gemeindegesangbuch, sondern in einer Schrift mit dem Titel „Das Allerschoenste Kind / in der Welt“. Das ist eine Sammlung von Liedern, in denen das Geheimnis der Menschwerdung Gottes ergründet und besungen wird, angefangen bei der Erwartung des Messias im Volk Israel bis hin zu den Hirten und den Heiligen Drei Königen. Das erste Lied in dieser Sammlung ist „O Heiland, reiß die Himmel auf“. Friedrich von Spee verdichtet darin die Messiaserwartung der alttestamentlichen Propheten, komponiert ein Kunstwerk aus Bildern, mit denen der Prophet Jesaja seine Sehnsucht beschreibt. Dieser Ursprung des Liedes lässt verstehen, warum vom Advent Christi noch keine Rede ist. Der Autor hat sich ganz in die Situation der Propheten hineinbegeben, in ein trostloses Exil, das nach dem Messias schrie und das von dessen Kommen noch nichts wusste. Advent pur.
Aber, so ließe sich nun einwenden, warum singen wir dieses Lied noch? Wir wissen es doch schon besser. Wir glauben doch, dass Jesus der Heiland, der ersehnte Retter ist. Ist dieses Lied nicht überholt, „Advent pur“ längst vorbei? Nein! Ich glaube, dass dieses Lied prophetischer Sehnsucht auch unsere Zeit beschreibt. Denn es beschreibt einen Zustand der Gottessehnsucht: Es geht aus von einem verschlossenen, verbarrikadierten Himmel, von dem Tor und Tür, Schloss und Riegel abzureißen sind! Ist diese Sehnsucht nach dem Heiland nicht ein (unbewusster) Grundzug unserer Zeit?

Trost der Welt?
4) Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt,
darauf sie all ihr Hoffnung stellt?
O komm, ach komm vom höchsten Saal,
komm, tröst uns hier im Jammertal.

5) O klare Sonn, du schöner Stern,
dich wollten wir anschauen gern;
o Sonn, geh auf, ohn deinen Schein
in Finsternis wir alle sein.

6) Hier leiden wir die größte Not,
vor Augen steht der ewig Tod.
Ach komm, führ uns mit starker Hand
vom Elend zu dem Vaterland.

Im zweiten Teil des Liedes verlässt Friedrich von Spee die Situation der alttestamentlichen Propheten und wendet sich der Gegenwart der singenden Christinnen und Christen zu: „tröst uns“, heißt es nun, „dich wollten wir anschauen gern“, „Hier leiden wir“, „führ uns mit starker Hand“. Unmittelbar auf die Messiaserwartung, auf die Gottessehnsucht des Jesaja folgt das Seufzen der singenden Gemeinde über die eigene Lage. Auf diese Weise transportiert der Dichter die Ungewissheit, den „Advent pur“ des Jesaja in die Gegenwart derer, die den „Trost der ganzen Welt“ herbeisehnen. Und diese Gegenwart ist gekennzeichnet von der je eigenen, aber immer bleibenden Sehnsucht. Die da singen, wünschen, dass Gott die Ferne zwischen dem „höchsten Saal“ und dem „Jammertal“ überwindet, dass Gottes „Schein“ die irdische „Finsternis“ erhellt, dass Seine „starke Hand“ aus dem „Elend“, aus der Fremde ins „Vaterland“ zurückführt. Die da singen, erwarten alles von Gott. Sie haben eine Zukunft mit Ihm, denn sie erflehen Sein Kommen.

Wenn Menschen von Gott Trost erhoffen, dann kommt darin eigenes Leiden zum Ausdruck und der Wunsch, wieder heil zu werden. Wenn Menschen von Gott Licht erflehen, dann tragen sie das Jammertal der Welt vor Gott und den Wunsch, dass sein Trost nicht nur tröstet, sondern mit starker Hand die Not zum Guten wendet. Wenn Trost und Sonnenschein nicht in Sicht sind, sind die Wunden an Leib und Seele und das Leiden an der Welt nicht selten schmerzhafter „Advent pur“.

Himmel und Erde
2) O Gott, ein’ Tau vom Himmel gieß,
im Tau herab, o Heiland, fließ.
Ihr Wolken, brecht und regnet aus
den König über Jakobs Haus.

3) O Erd, schlag aus, schlag aus, o Erd,
dass Berg und Tal grün alles werd.
O Erd, herfür dies Blümlein bring,
o Heiland, aus der Erden spring.

In sein Szenario der „größten Not“, der finsteren Trostlosigkeit zeichnet Friedrich von Spee indes ein großartiges Bild der Hoffnung hinein: ein ursprüngliches Bild neuen Lebens. Wiederum bedient sich der Dichter im Bildschatz des Jesaja, wenn er in der zweiten Strophe das Herabfließen von Tau und Regen erfleht und wenn er in der dritten Strophe das Ausschlagen der Erde herbeiwünscht. Bei Jesaja ist dieses Bild inspiriert von einem alten Mythos, in dem sich Regen und Erde vereinigen und neues Leben zeugen. Friedrich von Spee – so verrät es ein Kommentar, der dem Lied in der Erstausgabe beigefügt ist – will dieses Bild verstanden wissen als Hinweis auf die zwei Naturen des Erlösers: Himmlischer Tau und Regen bedeuten die Gottheit Christi, der irdische Spross symbolisiert seine menschliche Natur.

Mit diesem Bild, in dem Himmel und Erde sich berühren, Gottheit und Menschheit sich vereinen und neues, heiles Leben hervorbringen, hat Friedrich von Spee im unnachgiebig-harten „Advent pur“ seines Liedes einen starken und zutiefst beruhigenden Trost versteckt. Denn dieses Bild sagt, dass Gott die Distanz zwischen dem „höchsten Saal“ und „Jammertal“ nicht irgendwie überbrückt, sondern dass er die Distanz zwischen Himmel und Erde in sich aufhebt – in Jesus Christus, dem wahren Gott und wahren Menschen. Dieses Bild sagt, dass Gott von sich aus die Gottessehnsucht des Menschen erfüllt – in Jesus Christus, dem Mensch werdenden Gott. Dieses Bild sagt, dass Gott sich der Not des Menschen annimmt und sie heilt, ja dass er selbst die Heilung menschlicher Zerrissenheit ist – in Jesus Christus, dem Heiland.

„O Heiland, reiß die Himmel auf“.

pax christi - Friedensfragen - Impuls zum Innehalten - Impuls zum 10. Dezember 2023

Von Stefan Voges, Geistlicher Beirat von pax christi Aachen

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