1. Adventssonntag (B)

Besinnung

pax christi - Friedensfragen

                                                                                                                                                                                   Evangelium: Mt 13,33-37

Vorneweg
Der Advent ist eine Zeit des Rufens und Bittens: „O komm, o komm, Emmanuel“ (GL Münster 754) – so singen wir. Wo unsere Welt aus dem Lot geraten ist und wir sie am Abgrund stehend erleben: „O Heiland, reiß die Himmel auf“ (GL 231). Wo wir mit Krieg, Terror, Unrecht und Gleichgültigkeit konfrontiert sind: „Tauet, Himmel, den Gerechten“ (GL-Münster 753). Wo unsere Energiequellen zu versiegen drohen und wir schmerzlich die Grenzen des Machbaren erfahren: „Komm, o mein Heiland, Jesu Christ“ (GL 218,5).

Trauen wir uns noch, so ungeschützt unsere Bedürftigkeit heraus zu singen, so sehnsüchtig zu bitten? Haben wir noch die Bereitschaft, in vielem und trotz vielem und vielem zum Trotz immer wieder neu zu lernen, wie für uns entschiedenes Engagement und inständiges Bitten zusammengehören? Das könnte dann vielleicht bedeuten, in unserem Glauben – handelnd und bittend – zu reifen und zu wachsen.

Evangelium
In jener Zeit sprach Jesus: Gebt Acht und bleibt wach! Denn ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist. Es ist wie mit einem Mann, der sein Haus verließ, um auf Reisen zu gehen: Er übertrug die Vollmacht seinen Knechten, jedem eine bestimmte Aufgabe; dem Türhüter befahl er, wachsam zu sein. Seid also wachsam! Denn ihr wisst nicht, wann der Hausherr kommt, ob am Abend oder um Mitternacht, ob beim Hahnenschrei oder erst am Morgen. Er soll euch, wenn er plötzlich kommt, nicht schlafend antreffen. Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Seid wachsam! (Mt 13,33-37)

Wachsamkeit als Haltung
Achtet darauf, was sich tut! Seid wachsam! So ist der Impuls des Evangeliums am 1. Advent 2023. Gleich vier Mal wird gesagt: Seid wachsam! – bzw.: Bleibt wach!

Wachsam sein bedeutet nicht einfach, weniger oder gerade nicht zu schlafen. Wachsamkeit ist eine Haltung, die uns nicht in die Wiege gelegt ist; es braucht Einübung und das Bemühen, sie sich zu erhalten. Es geht bei ihr um Aufmerksamkeit und Dasein, um Wahrnehmungskraft und Präsenz, um den Blick für Notwendiges und Not-Wendendes, um Leben und Engagement.

Alle biblischen Texte und Lieder im Advent laden – so oder so – ein zur Selbstreflexion, zum kritischen Blick auf mich und die Welt. Bin ich ein wachsamer Mensch? Sie wollen mich zum Aufbrechen, zum Aufstehen, zu einem klaren Blick inspirieren: Ein wachsamer Mensch ist bei sich selbst und sieht doch über sich hinaus. Er ist gesammelt, aber nicht verschlossen. Er braucht nicht alles mitzumachen, aber er ist fähig teilzunehmen. Erschütterungen nimmt er wach wahr und hat im Blick, sich nicht von ihnen besetzen zu lassen. Wenn er mit dem Zuspruch zu leben sucht, von Gott geliebter Mensch zu sein, wird er daraufsetzen, dass die Dynamik allen Lebens mit Gottes Dynamik verwoben ist. Alles Geschehen unter der Sonne soll letztlich nicht verhindern, dass Gottes Wirklichkeit doch unsere Wirklichkeit wird. Dabei ahnt er, dass Gott nicht retten kann, was alles durch Menschen zerstört ist. Gott hat keine Hände außer unseren Händen. Dieser Gott hat sich in unsere Welt begeben. Er ist Mensch geworden und will Leben in Fülle für alle. Daran werde ich insbesondere an Weihnachten erinnert - mit der Geburt Jesu von Nazareth. Gott begibt sich in das Werden und Vergehen der Welt hinein. Und ich kann nur hoffen, dass meine und aller anderen nächsten Schritte irgendwie vollendet werden und zum Guten gewendet werden. So wie im Adventslied: „Kündet allen in der Not. Fasset Mut und habt Vertrauen.“ (GL 221)

Nichts fällt einfach vom Himmel. Alles entsteht aus der Schöpfung heraus. Die Religionen sind eine Offenbarung und eine menschliche Spurensuche nach dem Geheimnis des Lebens, das es letztlich zu bewohnen gilt - und das nicht gelöst werden kann wie ein Rätsel. Die Vorstellung im heutigen Evangelium des Matthäus von der Wiederkunft Jesu und vom Ende der Welt und der Zeit ist natürlich eine menschliche Vorstellung, die unser Leben perspektivisch beeinflussen möchte. Wie wäre es, die von Matthäus angemahnte Wachsamkeit zu denken und zu lenken hin in die Richtung: Gib Acht und sei wachsam für das, was sich vor deinen Augen tut. Achte auf das Leben und auf alles, was Leben hindert. Achte auf das, was sich bewegt, was dich bewegt. Sei wach dafür.

Das völkerverbindende Potential unserer Ur-Kunde – die universale Geschwisterschaft aller Menschen weltweit
Mich bewegen in diesen Tagen die Verheerungen, von denen ich täglich erfahre und denen ich mich nicht entziehen kann. Auch wenn ich nicht konkret sehen kann, wie angesichts erfahrener Verheerungen Frieden werden kann und wie diese Kriege gestoppt werden können – ich frage mich: Müssten wir nicht viel lauter zumindest einen programmatischen Satz erinnern und ins Bewusstsein heben, der vor 75 Jahren in Amsterdam bei der Gründungsversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen formuliert wurde? Er lautet „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein!“

Das Herzstück der biblischen Botschaft ist doch die Entdeckung, dass Gott ein die Menschen wirklich liebender Gott ist. Die Bibel spricht bereits in ihrem ersten Kapitel von der gottgegebenen Würde jedes Menschen - überall auf der Welt. Gott schuf den Menschen als sein Abbild, als sein Ebenbild. Damit ist gesagt: Jedes Leben ist ein einmaliges Gottesgeschenk. Diese Überzeugung beinhaltet den Zuspruch der Würde. Darin liegt der Grund zu sagen: „Krieg soll (ja darf) nach Gottes Willen nicht sein!“ Denn Krieg ist immer Verletzung der Menschenwürde, bedeutet immer Tod, Zerstörung, Brutalität, Verbrechen, Mord und über Generationen hinweg wirkende Traumatisierung von Menschen und Völkern. Dieser Zuspruch der Würde eines jeden Menschen beinhaltet für mich den Anspruch, Konflikte nicht durch Gewalt und Krieg zu lösen zu suchen und ist letztlich die Aufgabe, sich einer Kultur der Aktiven Gewaltfreiheit und der Suche nach einem Gerechten Frieden zu verschreiben.

Der weitere Gedanke in der Schöpfungsgeschichte besagt: Gott hat die Menschheit aus einem Menschenpaar hervorgehen lassen. Damit ist keine biologische Abstammungsvorstellung gemeint. Hier wird ausgesagt: Alle Menschen sind Schwestern und Brüder– unabhängig von Herkunft, Bildung, Volk, Nation, Hautfarbe, Religionszugehörigkeit. Die Menschheit als eine Völkerfamilie verstanden: das ist nach biblischem Verständnis ihr Schicksal und ihre Zukunft. Der Gedanke des Stammelternpaares stellt doch vor die Aufgabe, die Geschwisterlichkeit aller Menschen auf dieser Erde lebendig zu halten.

Adventlich zu leben bedeutet deshalb für mich: an diese universale Perspektive zu erinnern, an dieses völkerverbindende Potential in unserer Ur-Kunde (!), an den stetigen Einsatz für weltweiten Frieden und ein Mehr an Gerechtigkeit. Alles ist mit allem verbunden. Die Erde ist unser gemeinsames Haus. Wir leben auf EINEM Planeten – es geht nur gemeinsam. Wann ändern wir unsere Ansichten und Prioritäten im Leben?

Papst Franziskus sagt es so – wie ein Basso continuo seit Jahren: „Heute ist nicht die Zeit für Gleichgültigkeit. Entweder sind wir Geschwister, oder alles bricht zusammen. Die Geschwisterlichkeit ist das neue Ziel der Menschheit, auf das wir hinarbeiten müssen; sie ist die Aufgabe unseres Jahrhunderts.“ (https://twitter.com/Pontifex_de zum 4. Februar 2021). Sein Vorgänger Benedikt XVI. sprach ebenso von der Notwendigkeit einer universalen Geschwisterlichkeit: „Wer Frieden stiften will, muss aufhören, den anderen als ein Übel anzusehen, das zu beseitigen ist. Es fällt nicht leicht, im anderen einen Menschen zu sehen, der zu achten und zu lieben ist; doch ist eben dies notwendig, wenn man Frieden stiften möchte, wenn man Geschwisterlichkeit will. Mögen die Menschen doch begreifen, dass sie Geschwister sind!“ (Papst Benedikt XVI., Angelus, Beirut City Center Waterfront, 16.9.2012) Und dann gibt es die gemeinsame Erklärung von Abu Dhabi aus dem Jahre 2019 (4.2.2019) zwischen katholischer Kirche und sunnitischem Islam, die von Papst Franziskus und von Sheikh Ahmed el-Tayeb unterzeichnet wurde. Auch sie betont die Geschwisterlichkeit aller Menschen und unterstreicht die Kultur des gegenseitigen Respekts als Grundlage für alle so notwendigen Dialoge zwischen den Religionen. Die Perspektive der Geschwisterlichkeit aller Menschen auf diesem Planeten in unsere Köpfe und Herzen zu bekommen: Das braucht es doch dringlich, weil Krieg um Gottes Willen nicht sein soll!

Ökumenisches Friedensgebet 2023
Gott, Fürst und Herr des Lebens, taufe uns mit deinem Frieden.

Wir brauchen Frieden in so vielen Regionen unserer Welt.
Gegen unsere Ängste preisen wir Gottes Macht.
Gegen Selbstgefälligkeit und Hass preisen wir die Liebe Christi.
Gegen Sinnlosigkeit und Gewalt preisen wir die verwandelnde Gegenwart des Heiligen Geistes.

Wir gedenken unserer Geschwister, die durch Gewalt vertrieben wurden, die in den sumpfigen und überschwemmten Niederungen ihrer Heimat und in den Flüchtlingssiedlungen ihrer Nachbarländer Ruhe und Frieden suchen, die nicht mehr wissen, was sie tun sollen, weil Schmerz und Tränen ihr tägliches Brot geworden sind.
Gib denen, die ungerechte Gewalt ausüben, die Einsicht, dass ein gutes Leben ein gemeinsames Leben ist.

Gott, lass uns Frieden stiften und nicht den Krieg fördern.
Lass uns versöhnen und nicht beitragen zu Spaltungen zwischen Menschen, Gruppen und Völkern.
Erneuere unsere Herzen und Hände mit deiner Liebe und Barmherzigkeit.
Hilf uns, nicht nur über Frieden zu reden, sondern mit aller Kraft für ihn zu arbeiten.

Gott, lass deinen Frieden einkehren in unsere Familien, in unsere Kirchen und in unsere Welt.
Mache uns zu Werkzeugen deines Friedens, wo immer wir sind und was immer wir tun. Amen.
(verfasst von Stephen Ameyu Martin Mulla, Justin Badi Arama und Isaiah Majok Dau aus dem Südsudanesischen Kirchenrat)

Das Gebet Jesu
Vater unser im Himmel ... schau mütterlich auf deine Erde
geheiligt werde dein Name ... mit dem so viel Unrecht verübt wird
Dein Reich komme ... der Friede und die Gerechtigkeit, nach denen wir uns sehnen
Dein Wille geschehe ... denn wer weiß schon, was besser ist
wie im Himmel so auf Erden ... unserer armen, blutenden Erde voll von Gewalt und Kriegen
Unser tägliches Brot gib uns heute ... wir wollen es teilen, dann reicht es für alle
Und vergib uns unsere Schuld ... damit wir frei werden zu lieben
und auch wir vergeben unseren Schuldigern ... weil du uns die Kraft dazu gibst
Und führe uns in der Versuchung ... damit wir auf deinem Weg bleiben
und erlöse uns von dem Bösen ... so werden wir glücklich ans Ziel gelangen
Denn dein ist das Reich und die Kraft ... voll Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen

Segensgebet
Gott unseres Lebens: segne uns – und das, was wir tun.
Behüte uns – und die, mit denen wir leben.
Lass dein Angesicht leuchten über uns – und über die, für die wir Verantwortung tragen.
Sei uns gnädig – und all denen, die sich feind sind.
Erhebe dein Angesicht über uns – und unsere Geschwister in aller Welt.
Gib uns deinen Frieden – und gib der ganzen Welt deinen Frieden. AMEN

pax christi - Friedensfragen - Impuls zum Innehalten - Impuls zum 03. Dezember 2023

Von Klaus Hagedorn (Oldenburg), Geistlicher Beirat pax christi – Deutsche Sektion e.V.
 

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