28. Sonntag im Jahreskreis (C)

Predigtimpuls

„Den Erfahrungshorizont erweitern … “

1. Lesung: 2Kön 5,14-17
2. Lesung: 2Tim 2,8-13
Evangelium: Lk 17,11-19

Dank
Anfang der fünfziger Jahre muss es gewesen sein, da habe ich als Schüler mit großem Interesse und innerer Anteilnahme das Buch von Peter Bamm „Die unsichtbare Flagge“ gelesen: Ein erschütternder Bericht über seinen Dienst als Chirurg und seiner Sanitätskompanie unter der weithin unsichtbaren Flagge der Menschlichkeit mitten in der Unmenschlichkeit des grausamen Russlandfeldzuges im letzten Weltkrieg. Das meiste, was Peter Bamm erzählt, habe ich vergessen. Aber eine Szene blieb mir bis heute im Gedächtnis haften. Peter Bamm schildert, wie am Ende einer langen Operationsnacht ein junger Soldat mit einem fast völlig zerfetzten Gesicht zu ihm gebracht wird. Bei der Untersuchung stellt er fest, dass die Augen und die Knochen nicht verletzt sind und auch vom Gesichtsgewebe nicht viel fehlte. Er versucht in einer langen, anstrengenden Operation, das Gesicht des jungen Soldaten wiederherzustellen. Peter Bamm wörtlich: „Allmählich entstand unter den Händen des Chirurgen das zerstörte Gesicht wieder. Es war das gute Gesicht eines Bauern. Nun kam die letzte Phase der Operation. Ich nähte dem Patienten den zweiten Mundwinkel zusammen. Dann stellten wir ihn auf. Ich sagte zu ihm: ,So, nun sprechen Sie mal!‘ Infolge der örtlichen Betäubung hatte er noch keine Schmerzen. Der Mann bewegte vorsichtig seine Lippen, und dann, mit einem kleinen Lächeln in die Runde, artikulierte er, ein wenig unbeholfen noch: `Danke schön´.“

Dankverweigerung
Diese Szene steht in einem eigenartigen Gegensatz zu einer Begebenheit, die ich Mitte der siebziger Jahre erlebte. Ich führte mit jungen Leuten ein Gespräch über menschliche Grundhaltungen, u. a. auch über die Dankbarkeit. Ich erinnere mich noch, wie ein junges Mädchen sagte: „Für Dankbarkeit habe ich kein Verständnis, und ich sehe auch keinen Anlass, dankbar zu sein. Wofür auch? Ich bin nun einmal da, ich lebe. Keiner hat mich gefragt, ob ich das überhaupt will. Aber da ich nun mal existiere, habe ich auch ein Recht darauf, dass ich all das bekomme, was zum Gelingen meines Lebens und meiner Selbstverwirklichung beiträgt. Worauf ich ein Recht habe, dafür brauche ich nicht zu danken.“ Ich war überrascht, aber noch überraschter, dass ihr so viele beipflichteten.

Dank und Dankvergessenheit im Evangelium
In beiden Szenen sehe ich eine Art Reproduktion dessen, was sich auch im heutigen Evangelium ereignet. Zehn Aussätzige, d. h. aufgrund ihrer Krankheit ausgesetzte und ausgegrenzte Menschen, werden rein und können in die menschliche Gemeinschaft zurückkehren. Aber nur einer kehrt zurück und dankt und preist Gott mit lauter Stimme, und gerade der, von dem man es nicht erwartet. Auf wessen Seite Jesus steht, ist klar. Er weiß, dass alle Heilung, dass alles Glück, dass alles Gelingen, dass alles Heil im Leben, ja das Leben insgesamt verdankt ist. Er ist überrascht, dass nur einer das auch weiß …

Unterschiedliche Erfahrungshorizonte
Wir Menschen leben offensichtlich in unterschiedlichen Erfahrungshorizonten, die zu verschiedenen Lebenseinstellungen führen. Das junge Mädchen pocht auf seine Rechte: Da ich nun einmal da bin, habe ich ein Recht auf … Daher sieht sie für Dank keinen Grund. Ja, sicher haben Menschen Rechte, ein Recht auf ein menschenwürdiges, ganzes, sich selbst verwirklichendes, in seine Fülle gelangendes Leben. Das können sie sogar bis zu einem gewissen Grade einklagen, aber lange nicht alles, was dazugehört. Leben im Horizont des ,,Rechtes auf …“ greift wohl zu kurz. – Die neun Geheilten im Evangelium pochen nicht auf Rechte, aber sie vergessen einfach, nachdem sie gesund geworden sind, wem sie ihre Heilung verdanken und was Ihnen letztlich diese Heilung über das Geheimnis ihres Lebens sagen will. Sie leben zu oberflächlich. Auch ein Leben im Horizont der Oberflächlichkeit greift zu kurz. – Der junge Soldat, dessen Gesicht unter den kunstvoll operierenden, heilenden Händen des Chirurgen neu entsteht, und der, als er das erlebt, zuerst und vor allem dankt, verlässt den Horizont der Rechte und der Oberflächlichkeit. Dadurch, dass er erlebt, er darf leben mit dem neuen Gesicht durch die Kunst und die Güte eines anderen, erfährt er, wie Leben überhaupt im Grunde in seine Fülle hineinwächst. Sein Lebenshorizont greift weiter. – Der Mann aus Samarien, den Jesus heilt und der nun in die menschliche Gemeinschaft zurückkehren darf, lobt Gott und dankt ihm mit lauter Stimme für diese Erfahrung. Er dankt Jesus, durch den ihm etwas von der Güte Gottes und der Güte des Lebens überhaupt aufgeht. Damit verlässt er alle voraufgehenden Erfahrungshorizonte und begibt sich in den Horizont der Erfahrung der Gottunmittelbarkeit allen Lebens und weiß sich darin geborgen und getragen. In dieser Haltung wird ihm Heil zuteil.

Folgerungen
Schaue ich von all dem her auf mein Leben, spüre ich, dass ich mich, je nach den Umständen, in all diesen Erfahrungshorizonten aufhalte und dass ich gerade von dem letzteren am weitesten entfernt lebe. Es kommt für mich darauf an, meinen Erfahrungshorizont zu erweitern oder, besser, erweitern zu Jassen. Ich möchte vor allem mit und aus dem Erfahrungshorizont des Mannes aus Samarien leben, damit ich die Güte und die Qualität des Lebens begreife, die mir Jesus und der Gott, den ich in ihm erfahre, schenken. Ich lebe dann in und aus der Fülle eines gottunmittelbaren Lebens, das ich dem verdanke, der es mir eröffnet. Deswegen möchte ich dankbar leben.

P. Franz-Josef Janicki SVD

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