19. Sonntag im Jahreskreis (C)

Predigtimpuls

Mutzuspruch auch für uns? Fürchte dich nicht!

1. Lesung: Weish 18,6-9
2. Lesung: Hebr 11,1-2.8-19
Evangelium: Lk 12,32-48

Manchmal habe ich das Gefühl, das Evangelium ist für uns bzw. für mich heute aufgeschrieben worden. So auch das eben gehörte. „Fürchte dich nicht, du kleine Herde!“ Wenn ich ehrlich bin, machen mich die vor einigen Wochen veröffentlichten Zahlen zum „Kirchenschwund“ schon nervös. Ich frage mich: Wohin soll das noch steuern? Der Rückgang der Katholikenzahl in Deutschland ist nicht aufzuhalten; es sterben mehr, als getauft werden. Zudem treten viele aus der Kirche aus. Es gibt kaum noch Priester- und Ordensberufungen; die Zahlen der sonntäglichen Gottesdienstteilnehmer gehen weiter zurück. Wir schrumpfen und schrumpfen. Auf der anderen Seite gibt es Strukturen, die nicht automatisch mitschrumpfen, wie Kirchengebäude, Pfarrsäle und sonstige Immobilien. Sie werden eventuell zu einer finanziellen Last. Was sollen wir machen? Wie könnte die Zukunft aussehen? Welche gestalterischen Möglichkeiten erkennen wir? Patentrezepte hat keiner. Und ich bin davon überzeugt: Weder eine Wiedereinführung der lateinischen Messe noch die Weihe von Priesterinnen würde die Zahlen nachhaltig wieder steigen lassen. Es bleibt beängstigend!
Und gerade in dieser Lage wird uns zugesagt: Fürchte dich nicht – mit dem Zusatz: du kleine Herde. Als hätte Jesus unsere Situation schon vorausgesehen. Wenn wir näher in die Geschichte hineinschauen, stellen wir fest: Diese Situation ist nicht neu. Sie gab es im Laufe der Kirchengeschichte immer wieder. Ja, selbst zu Lebzeiten Jesu passierte es: Als Jesu der Menge sagte: „Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch für das Leben der Welt.“ (Joh 6,51), wandten sich viele Jünger von ihm ab, so dass Jesus die Zwölf fragte: „Wollt auch ihr weggehen?“ (Joh 6,66f.) In dieser Situation gingen sie noch nicht; aber später, als Jesus im Garten Getsemani verhaftet wurde, da sind bis auf Johannes alle abgehauen – nicht aus ideologischen, theologischen Gründen, sondern aus existentiellen: sie hatten Angst um ihr Leben.
Nun, so schlimm ist es heutzutage in Deutschland nicht. Es gibt keine Christenverfolgung. Wir brauchen keine Angst um unser Leben, um unsere berufliche Karriere, um größere Benachteiligungen zu haben. Und dennoch gibt es dieses komische Gefühl der Unsicherheit, der Furcht vor der ungewissen Zukunft.
Dieses Gefühl kannte auch Maria. Bei der Verkündigung sagte der Engel zu ihr: „Fürchte dich nicht, Maria; denn du hast bei Gott Gnade gefunden.“ (Lk 1,30). Und auch Josef musste beruhigt werden, als er von der Schwangerschaft Marias erfuhr: „Es erschien ihm ein Engel des Herrn im Traum und sagte: Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen; denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist.“ (Mt 1,20). Oder denken wir an den Synagogenvorsteher, der um seine Tochter bangte und sich zu Jesus aufmachte, um ihn um Hilfe zu bitten, und dann von seinen Angehörigen den Hinweis bekam, es lohne nicht mehr, denn sie sei gestorben; er durfte von Jesus hören: Fürchte dich nicht! Glaube nur, dann wird sie gerettet werden!“ (Lk 8,50)
Von Gott her wird den Menschen also immer wieder in den aussichtlos scheinenden Situationen Mut zu gesprochen: Vertrau nur; fürchte dich nicht. Ich bin doch da. Ich – der Gott des Lebens – bin gerade jetzt für dich da.
Bei einer Firmung hat der Firmspender, Abt Johannes von der Benediktinerabtei St. Bonifaz in München und Andechs, die jungen Menschen auf einen recht neuen Song der bayrischen Sängerin Leony hingewiesen, der im Januar 2022 herauskam. Der Titel lautet „Remedy“, zu Deutsch Gegenmittel, Heilmittel. Nach Leony handelt der Inhalt des Liedes von schwierigen Zeiten, in denen ein guter Freund ihr beiseite gestanden habe und ihr geholfen habe, diese schwere Phase zu überstehen. Sie hat den Freund wie ein Remedy erlebt, wie ein Mittel gegen die Schwere. Interessanterweise gibt es im Lied auch Anspielungen auf religiöse Erfahrungen: „I'm falling into you“ = „ich falle in dich.“ Ja, in dunklen Stunden kann man sich selbst oft nicht mehr halten; der Boden versinkt unter den Füßen; man hat das Gefühl, man fällt ins Bodenlose. Gut ist es, wenn wir glauben und wissen: Ich falle nicht in einen Abgrund, sondern es fängt mich jemand auf; es gibt mir jemand Halt. Im Fall von Leony war es ein guter Freund.
So ein guter Freund will auch Gott für uns sein. Schon der Beter von Psalm 139 meditiert den Gedanken: Du kannst nicht tiefer fallen als in Gottes Hand. Gott hält immer seine Hand bereit, um sie uns zu reichen, um uns zu stützen oder auch um uns aufzufangen.

Wir haben einen Gott, der uns ein „remedy“ sein will, ein Gegenmittel gegen Unsicherheit, Mutlosigkeit, Lustlosigkeit und diffuse Ängste. Sein Geist will uns immer wieder stärken, begeistern, Mut machen, aufrichten. Damit „Remedy“ – das göttliche Mittel – allerdings richtig wirken kann, bedarf es einer entsprechenden Aufnahmebereitschaft. Mit seiner Bemerkung im heutigen Evangelium „Wo euer Schatz ist, da ist euer Herz“ hinterfragt uns deshalb Jesus: Woran hängt eigentlich dein Herz? An Gesundheit, an guten Noten, an Reichtum und Besitz, an Anerkennung der Leute, an möglichst viel Freizeit und Urlaub? Wer sein Herz an so etwas hängt, dessen Herz baumelt schnell hin und her, macht die Seele schwindelig, bringt das ganze Ich durcheinander.
Jesus verweist uns auf einen Schatz, der unser Herz beruhigt und uns ins Gleichgewicht bringt: das Reich Gottes. Reich Gottes ist, wo Liebe wohnt, Gerechtigkeit herrscht, Frieden ist, Güte ihren Platz hat usw.

Es ist gut, immer wieder auf die Zusage Jesu verwiesen zu werden. So kann ich mit negativen Gegebenheiten besser umgehen, so kann ich mit dem Unvollkommenen besser leben, so kann ich auch mit Unerwartetem besser zurechtkommen.
Danke, Herr, für deine Zusage: Fürchte dich, nicht. Amen.

P. Konrad Liebscher SVD

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