Hochfest des Heiligsten Herzens Jesu

Predigtimpuls

In wessen Gegenwart können Menschen wieder zu sich finden

1. Lesung: Ez 34,11-16
2. Lesung: Röm 5,5b-11
Evangelium: Lk 15,3-7
Zum Kantillieren des Evangeliums: www.stuerber.de

„Ich hatte es nur anders“
Eine ältere Ordensschwester, die über viele Jahre mit Dirnen zusammenlebt und ihnen beisteht, wird in einer Gesprächsrunde von einem Pfarrer gefragt: „Schwester, wie schaffen Sie es, bei all dem Elend und aller Erfolglosigkeit Ihrer Arbeit so fröhlich und humorvoll zu bleiben? Wie ist das möglich angesichts all der Frauen, die so unglücklich sind?“- Und sie gibt die kurze Antwort: „Wissen Sie, ich bin nicht anders als all diese Frauen, ich hatte es nur anders.“ Sie ist also überzeugt, dass sie genau dort wäre, wo jene Dirnen jetzt sind, wenn es ihr nicht glücklicherweise im Leben etwas besser gegangen wäre. Und aus dieser tiefen Solidarität und Gleichgesinntheit kann sie das Leben dieser Frauen teilen, ohne herabzuschauen und ohne zu verurteilen. Und sie kann gerade dadurch ein fröhlicher, ansteckender, reicher Mensch bleiben. Sie lebt die Barmherzigkeit und das Feingefühl, das aus der Einsicht in die eigenen Grenzen und aus dem Gespür für das Unglück der anderen erwächst. Sie hat sozusagen die Dirne in sich entdeckt und sagt: „Ich bin nicht anders, ich hatte es nur anders.“

Barmherzigkeit - ein Fremdwort?
Mit manchem Wort ist es wie mit einem Kleidungsstück. Es ist aus der Mode gekommen und findet keine Verwendung mehr. Ein Mitbruder stellt fest, dass in einem Computerlexikon von über 200 000 Wörter das Wort Barmherzigkeit fehlt. Wurde es vergessen, ist es Zufall, oder hat man es bewusst ausgemerzt? Und dabei heißt es in der Bibel: „Seid barmherzig, wie euer himmlischer Vater barmherzig ist!“ Und das Gleichnis vom barmherzigen Vater ist uns allen wohlbekannt. In Gottes Barmherzigkeit liegt die Begründung, dass auch wir barmherzig sein sollen. Und so wird uns in der Bergpredigt versprochen: „Selig die Barmherzigen, denn sie werden Erbarmen finden.“ Die Ordensschwester hat diesen Ruf Gottes nicht nur verstanden, sondern ihn in die Tat umgesetzt. Sie wurde für die ihr anvertrauten Frauen zum Zeichen der Nähe Gottes, zum Sakrament. Und da sie Gott so nahestand, erhielt sie auch die Kraft für diese nicht leichte Arbeit. Sie wurde – um es anders zu formulieren – zur lebendigen Bibel, die man auch heute noch gerne liest.

„Im Himmel herrscht mehr Freude für einen Sünder, der umkehrt …“
Es gibt – so meine ich – einen guten Beweis, ob man Gott liebt: Das ist, wie sehr man imstande ist, die Not des eigenen Herzens und anderer Menschen zu verstehen. Die Frommen, die Anfechtungslosen haben wohl nie gewusst, was Verzweiflung ist, wie hilflos Menschen werden und sein können. Warum ist oft in ihren Herzen so wenig Freiheit, Freude, Verständnis? So kann man doch Gott nicht lieben, selbst wenn man ihm treu ist. Das erinnert an Nietzsches bekanntes Wort: „Die Christen, die müssten mir erlöster aussehen.“
Das heutige Fest macht uns deutlich, wie sehr wir alle angewiesen sind auf die Liebe Gottes, die sich im Tod des Herrn am Kreuz offenbar. Darum heißt es in einer Präfation: „Er hatte ein Herz für die Armen und die Kranken, die Ausgestoßenen und die Sünder. Den Bedrängten und den Verzweifelten war er ein Bruder. Sein Leben und seine Botschaft lehren uns, dass du für deine Kinder sorgst wie ein guter Vater und eine liebende Mutter ...“

Das Herz-Jesu-Fest
In einer Welt, in der oft genug Egoismus und Machtdenken, Krieg, Neid und Hass im öffentlichen wie auch im persönlichen Bereich herrschen, begegnet uns gerade deshalb auch immer die Hochschätzung der Barmherzigkeit und Liebe. Im Bilde des verwundeten Herzens Jesu findet diese Sehnsucht eine Antwort und in der langen Tradition der Herz-Jesu-Verehrung einen lebendigen Ausdruck. Der Prophet Sacharja spricht schon vor langer Zeit von der kommenden Heilszeit, in der Gott den Geist des Mitleids und des Gebets ausgießt, durch den Blick auf „den sie durchbohrt haben“ (Sach 12,10). Das Johannesevangelium hat diese prophetische Sicht aufgenommen, wenn es sagt: „Sie werden auf den schauen, den sie durchbohrt haben“ (Joh 19,37). Im heutigen Evangelium nach Lukas erfahren wir die Liebe und Barmherzigkeit – man könnte auch sagen: Warmherzigkeit – in der Gestalt des Hirten, der gerade dem verlorenen Schaf nachgeht und nicht eher aufgibt, bis er es gefunden hat. Und so wird auch heute der Seelsorger als Person das erste Zeichen“ der Nähe Gottes, das erste Sakrament. Nicht von seiner Stola und nicht von seiner Predigtkunst, sondern von seiner Menschlichkeit, seiner Herzlichkeit wird es abhängen, ob er die Herzen der ihm Anvertrauten gewinnt. Und so muss der Seelsorger heute auch ein Mensch sein, der ansprechbar und einsatzbereit, verschwiegen und verlässlich, verantwortungsbewusst und aufrichtig ist. Er muss „das Herz“ am rechten Fleck haben, ein Herz für die Menschen, er muss sich ihr Leid zu Herzen nehmen. Wir wünschen ihm aber auch, dass sein Herz oft höher schlägt bei seinem täglichen Engagement und dass er die vielen Amen, Gestrandeten und Verwirrten in sein Herz schließt.
Ich schau nochmals zurück auf die Ordensschwester und den fragenden Pfarrer. Beide glauben an Gott. Diejenigen, die Grenzen ziehen zwischen rein und unrein, zwischen sauber und unsauber, tun es im Namen Gottes, im Namen höherer Grundsätze und absoluter Wahrheiten und Maximen. Aber welcher Gott ist hier der wahre Gott? Der Erlöser? In wessen Gegenwart können Menschen wieder zu sich finden und einig werden mit sich und anderen? So muss auch heute der wichtigste Gestus des Priesters, des Christen und vor allem der Kirche nicht der erhobene Zeigefinger sein, sondern die liebevoll und herzlich ausgestreckte Hand, die jeden Neuanfang garantiert.

[Anmerkung der Redaktion: Die von P. Schmitz verfasste Predigt wurde bereits veröffentlicht in: DIE ANREGUNG, Nettetal 1998; S. 235ff]

P. Josef Schmitz SVD
 

Datenschutzhinweis

Diese Webseite nutzt externe Komponenten, wie z.B. Facebook und Youtube welche dazu genutzt werden können, Daten über Ihr Verhalten zu sammeln. Datenschutzinformationen