23. Sonntag im Jahreskreis (B)

Predigtimpuls

"Effata - Öffne dich!“

1. Lesung: Jes 35,4-7
2. Lesung: Jak 2,15
Evangelium: Mk 7,31-37

Das Evangelium des heutigen Sonntags hat einen besonderen Platz in dem langen Prozess, der zur Aufnahme eines ungetauften Erwachsenen in die Kirche führt. Da sagen Sie mir vielleicht: Was geht das mich an? Ich bin ja Glied der Kirche; ich bin ja getauft. Ich meine aber, der Ritus, der zur vollen Eingliederung Erwachsener in die Kirche führt, geht uns alle an. Das Zweite Vatikanische Konzil hat vor mehr als dreißig Jahren gesagt: „Die Kirche hier auf Erden ist ihrem Wesen nach missionarisch.“ Mission ist also etwas, das uns alle als getaufte und gefirmte Christen angehen sollte. Dieser Tatsache sind sich übrigens viele Ortskirchen der sogenannten altchristlichen Länder wieder bewusst geworden. Im vergangenen Jahre (1993) ist die katholische Kirche der USA um 600 000 Mitglieder gewachsen; viele Tausende von ihnen sind als ungetaufte Erwachsene in die Kirche aufgenommen worden. In unserem Nachbarland Frankreich existieren seit vielen Jahren blühende Kurse, sogenannte Katechumenate, die nichtgetaufte Erwachsene zur Kirche führen. Im Jahre 1993 waren es über 8400, die so zur Aufnahme in die Kirche kamen.

Dabei geht es um einen langwierigen Prozess. Man nimmt es mit der Vorbereitung und Hinführung dieser Menschen in die Kirche sehr ernst. Die Eingliederung von Bewerbern geschieht heute wieder, wie in den ersten Jahrhunderten, inmitten der Gemeinschaft der Gläubigen, in den Pfarreien, wobei alle irgendwie beteiligt wer­ den. Will jemand Christ werden, ist er grundsätzlich zur Umkehr entschlossen, wird er von der Kirche als Bewerber angenommen. Der Fachausdruck für diese erste Zeit des Interesses an Kirche und Christentum ist „Vorkatechumenat“. Auf einer zweiten Stufe wird der Kandidat auf den Empfang der drei Sakramente der Eingliederung vorbereitet. In dieser Zeit finden der Glaubensunterricht und damit verbundene Gottesdienste statt. Das ist die eigentliche Vorbereitungszeit. Die Zeit des Katechumenats dauert meist mehrere Jahre. Eng damit verbunden ist das Hineinwachsen in die kirchlichen Vereine und Gemeinschaften.

Endlich folgt ein dritter, kürzerer Abschnitt. Er fällt gewöhnlich mit der österlichen Bußzeit (Fastenzeit) zusammen. Da geht es um die letzte Läuterung und Erleuchtung der Bewerber. In diese letzte Zeit, genau auf den Morgen des Karsamstages, fällt die Feier, in der die Bewerber sich dem ,,Ritus des Effata“ unterziehen. Nach einem Eingangslied wird das gleiche Evangelium verlesen, das wir eben gehört haben. Dann berührt der Zelebrant mit dem Daumen die beiden Ohren des Kandidaten und auch den geschlossenen Mund und spricht dabei „Effata, öffne dich, damit du den Glauben, den du gehört hast, zu Gottes Lob und Ehre bekennst!«

Was soll dieser Ritus? In ihm geschieht in symbolischer Weise das gleiche, das Jesus an dem Taubstummen getan hat. Hier wird kundgetan, dass wir von der Hilfe und der Gnade Gottes abhängig sind, damit wir das Wort Gottes hören und es dann zu unserem Heil bekennen können. Nehmen wir nicht unseren Glauben oft zu leicht? Es geht um eine Gnade, eine Gabe. Sollte uns nicht die Tatsache, dass heute so viele unserer Zeitgenossen nicht mehr glauben, zu denken geben? Manche von ihnen sagen, sie könnten nicht mehr glauben.

Ein Blick in das Alte Testament hilft uns verstehen, dass an einer solchen Klage etwas sein kann. Damals sandte Gott seinem Volle Israel einen Propheten nach dem anderen. Sie sollten die Menschen zur Umkehr und zum Glauben an den einen wahren Gott bekehren. Was geschah aber? Das Volk wollte nicht hören. Als Gott den Propheten Jesaja berief, machte er ihn auf diese Tatsache aufmerksam. „Geh und sag diesem Volk: Hören sollt ihr, hören, aber nicht verstehen. Sehen sollt ihr, sehen, aber nicht erkennen. Verhärte das Herz dieses Volkes; verstopf ihm die Ohren, verkleb ihm die Augen, damit es mit seinen Augen nicht sieht und mit seinen Ohren nicht hört, damit sein Herz nicht zur Einsicht kommt und sich nicht bekehrt und nicht geheilt wird“ (Jes 6,9 f).

Hier geht es um einen wichtigen Text. Das sehen wir daran, dass er nicht weniger als fünfmal im Neuen Testament zitiert wird. Jedes Mal geht es um Menschen, die auf die Predigt Jesu oder seiner Apostel nicht glauben (Mt 13,14; Lk 8,10; Joh 12,40; Apg 28,25; Röm 11,8).

Eigentlich ist der erbsündlich belastete Mensch ein Blinder, ein Tauber, ein Stummer vor Gott. Man kann ihn in dem Bild von den drei Affen illustriert sehen, von denen sich der eine die Augen, der andere die Ohren und der dritte den Mund zuhält. Wie wird nun der Mensch für Gott offen? Durch die Gnade Gottes. Das wird durch das Evangelium des heutigen Sonntags illustriert. Das illustriert auch der Ritus am Morgen des Karsamstags für jene, die in der Osternacht die drei Initiationssakramente empfangen sollen.

Wir wissen, es ist Gottes Wille, dass alle Menschen gerettet werden (vgl. 1Tim2,4). Deshalb gibt er jedem Menschen die dazu notwendigen Gnaden, wenn wir auch oft nicht wissen, wie sie den einzelnen Menschen erreichen. Oder sollten wir nicht vielleicht besser sagen, Gott bietet dem Menschen seine Hilfe zur Rettung an. Ob der Mensch diese Hilfe annimmt, hängt von ihm selbst ab. Man kann einem ins Wasser Gefallenen den Rettungsring zuwerfen. Man kann ihn aber nicht zwingen, danach zu greifen. Wir Menschen sind aufgefordert, die Hilfe Gottes zu ergreifen, sie anzunehmen. Gott hat uns den freien Willen gegeben. Bei der Verkündigung des Wortes Gottes können wir abschalten; wir können uns gleichsam die Ohren zuhalten. Der Apostel Paulus schreibt über seine Predigt an sein eigenes Volk Israel: „Nicht alle sind dem Evangelium gehorsam geworden. Denn Jesaja sagt: Herr, wer hat unserer Botschaft geglaubt? … Hat dann Israel, so frage ich, die Botschaft nicht verstanden? … Über Israel aber sagt er: Den ganzen Tag habe ich meine Hände ausgestreckt nach einem ungehorsamen und widerspenstigen Volk“ (Röm 10,16-21).

Befinden wir uns heute nicht in einer ähnlichen Lage? Viele aus unseren Kreisen, die als Christen eigentlich hier sein sollten, sind nicht gekommen. Haben sie nicht mit ihren Füßen gegen das Wort Gottes abgestimmt? Sie wollen nicht hören. Nun, wir sind gekommen, um zu hören. Aber hören und hören ist zweierlei. Wie sagte Gott damals zu Jesaja: „Hören sollt ihr, aber nicht verstehen.“ Was bedeuten diese Worte für uns heute? Viele Menschen haben ihre Ohren nur auf bestimmte Wellenlängen eingestellt. Sie hören nur, was sie wollen, was ihnen passt. Man spricht da gelegentlich von einer nur partiellen, einer teilweisen Identifizierung mit der Botschaft der Kirche. Das Lied im „Gotteslob“ (GL 140) „Komm herbei, singt dem Herrn“ lässt uns in der vierten Strophe singen: „Wir sind taub, wir sind stumm, wollen eigne Wege gehen. Wir erfinden neue Götter und vertrauen ihnen blind.“

Kann man Gott und seine Botschaft nur teilweise haben? Früher beteten wir: „Ich glaube alles, was du geoffenbart hast und durch deine Kirche uns zu glauben lehrst.“ Am Radio und am Fernsehen bekommen wir nicht selten Kritik und Ablehnung der Botschaft der Kirche zu hören. Manchmal hat man den Eindruck, unser Glaube soll uns madig gemacht werden. […]

Das Problem, das heute im Evangelium angesprochen wird, ist also ein altes. Es geht darum, ob wir bereit sind zu hören. Ob wir willens sind, die ganze Botschaft Christi zu hören. „Herr, gib uns Mut zum Hören auf das, was du uns sagst“ (GL 448) singen wir im „Gotteslob“. Es sollte uns ein echtes Gebetsanliegen sein, für uns selbst und unsere Mitchristen, dass wir recht sehen, recht hören und unseren Glauben vor Gott und der Welt recht bekennen.

[Anmerkung der Redaktion: Die von P. Gräf verfasste Predigt wurde bereits veröffentlicht in: DIE ANREGUNG, Nettetal 1994; S. 343-345

Die Angaben zum Gotteslob wurden aktualisiert.]

P. Dr. Hermann Josef Gräf SVD

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