22. Sonntag im Jahreskreis (B)

Predigtimpuls

Die Größe des Menschen: sein Herz

1. Lesung: Dtn 4,1-2.6-8
2. Lesung: Jak 1,17-18.21b-22.27
Evangelium: Mk 7,1-8.14-15.21-23

Der winzig kleine Mann …
Da gibt es einen winzig kleinen Mann. Er will unbedingt größer werden. Er denkt sich: Das Pferd ist groß. Ich will es fragen, wie es so groß geworden ist. Gedacht, getan. Das Pferd antwortet: „Ich bin so groß geworden, weil ich viel Gras und Hafer fresse und weil ich viel trabe, galoppiere und springe.“ „Das will ich auch tun“ sagt sich der kleine Mann. Aber das Gras und der Hafer liegen ihm schwer im Magen, und die Füße schmerzen ihm vom vielen Traben, Galoppieren und Springen. Größer wird er aber nicht. Der winzig kleine Mann gibt nicht auf und legt sein Problem einem Ochsen vor. Der Ochse sagt: „Ich bin so groß geworden, weil ich viel Gras und Heu fresse und immer wieder laut brülle.“ „Das will ich auch tun“ sagt sich der kleine Mann. Aber vom Gras und vom Heu bekommt er Bauchschmerzen, und vom Brüllen wird er heiser. Nur größer wird er nicht. Eine Eule, die ihn beobachtet, fragt ihn: „Warum willst du unbedingt größer werden? „Ganz einfach“, entgegnet der kleine Mann, ,,wenn ich groß und stark bin, kann ich mich im Streit besser verteidigen.“ Die Eule: „Hat dich schon je einmal einer verhauen? „Nein, das nicht“ gibt der kleine Mann zu. „Also, warum willst du dann größer werden“, hakt die Eule nach. „Ja, wenn ich größer bin, kann ich weiter sehen“, lässt sich der kleine Mann vernehmen. ,,Klettere doch einfach auf einen hohen Baum, dann kannst du weiter sehen als der größte Mann“, meint die Eule. „Eigentlich hast du recht“, gibt der kleine Mann zu. „Merke dir“, sagt die Eule. ..ob jemand riesengroß oder winzig klein ist, darauf kommt es nicht an. Warum wünschst du dir, dass deine Beine wachsen? Wünsche dir lieber, dass dein Herz wächst, sich weitet und entfaltet. Dann bist du deine Sorgen los.“                                                                     (Nach Frederik Hetmann)

Und wir…
Der winzig kleine Mann steckt in uns allen. Wir möchten aus unserer Gestalt heraus und in eine andere hineinschlüpfen. Sie soll uns schöner, attraktiver, liebenswerter, größer und bedeutungsvoller werden lassen. In dieser neuen Gestalt, so phantasieren wir, kann uns niemand vernachlässigen, übersehen und übergehen. Jeder muss uns wahrnehmen, mit uns rechnen und unsere Bedeutsamkeit respektieren. Darum behängen wir uns mit äußeren Attributen. Wir setzen auf Reichtum, Besitz, Ehre, Einfluss, Respekt, Wissen, Können, Leistung und gesellschaftliche und politische Reputation und Bedeutung. Aber macht uns das alles wirklich größer? Wir können uns noch soviel anhängen und in uns hineinstecken, wir können uns noch so aufblasen, uns recken und strecken, größer werden wir dadurch nicht. Unsere wahre Größe besteht in der Größe, Weite, Tiefe und Fülle unseres Herzens. Darauf macht die Eule in unserer Geschichte aufmerksam. Darum gilt es, die Güte, die Qualität, die Echtheit und den Rang unseres Herzens zu pflegen und in seine Größe hineinzuwachsen.

Was Jesus dazu zu sagen hat
Wie das zu erreichen ist, zeigt uns Jesus in der Situation im Evangelium. Hier setzt ersieh mit Menschen auseinander. Die sehr ernst nach der Güte, Qualität und Echtheit ihres Lebens streben. Sie glauben, sie zu erreichen, wenn sie das ganze ‚System von Geboten, Vorschriften, Anordnungen, Gebräuchen und Gewohnheiten einhalten, wie es sich in ihrer Glaubenswelt entwickelt hat. Das ist ja an sich auch nicht verwerflich und hatte ursprünglich auch einen guten Sinn. Aber Jesus schaut tiefer. Er sieht die Gefahr, und sie ist nicht nur hier gegeben, dass sie sich in äußeren Kraftakten, Anstrengungen, Bemühungen und Übungen nur selbst bestätigen. Dadurch, dass sie etwas leisten, erarbeiten, produzieren und darstellen, halten sie unbewusst sich selbst für entscheidend wichtig und plazieren sich damit praktisch an die Stelle Gottes. Sie setzen damit Gott, den sie doch für den Urheber des ganzen Erfüllungssystems und ihres Bemühens halten, ab. Deswegen sagt Jesus mit dem Propheten Jesaja, der Gott sprechen lässt: „Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, sein Herz aber ist weit weg von mir. Es ist sinnlos, wie sie mich verehren; was sie lehren, sind Satzungen von Menschen. Ihr gebt Gottes Gebot preis.“ Für Jesus ist das Herz als Mitte und Zentrum des Menschen überaus wichtig. Wer darum in seine Größe, Weite, Tiefe und Fülle hineinwachsen will, wer sein Herz weiten und entfalten will, muss es in die Nähe Gottes, in seine Lebendigkeit und Lebensfülle bringen oder, besser, bringen lassen. Aus dem lebendigen Kontakt, aus der dialogischen Kommunikation und der sich austauschenden Gemeinschaft mit ihm, wachsen seine Güte, Qualität, Echtheit und Größe. Wer sich auf diesen Prozess einlässt, erfährt, wie von selbst aus seiner Herzensmitte all das hervorsprudelt, was sein Leben und das Leben überhaupt bereichert, beglückt und gelingen lässt. Darum will Gott nicht mehr und nicht weniger als das Herz des Menschen. Und was suchen wir in der Begegnung miteinander anderes als das Herz des Menschen! Deswegen gilt auch für uns, was die Eule in der Geschichte dem winzig kleinen Mann sagt: „Warum wünschst du dir, dass deine Beine wachsen? Wünsche dir lieber, dass dein Herz wächst, sich weitet und entfaltet. Dann bist du deine Sorgen los.

[Anmerkung der Redaktion: Die von P. Janicki verfasste Predigt wurde bereits veröffentlicht in: DIE ANREGUNG, Nettetal 1994; S. 293f]

P. Franz-Josef Janicki SVD

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