06. Mai 2024
Psalm 20
Mir geht es mit Psalm 20 so: Ich versetze mich in einen alten israelitischen Bauer, der mit seinem König und Volk in die Schlacht zieht – und mit einem kleinen Sprung bin ich im Zentrum meines Glaubens.
Psalm 20
2 Es gebe dir Antwort der HERR am Tag der Bedrängnis,
es schütze dich der Name des Gottes Jakobs!
3 Er sende dir Hilfe vom Heiligtum
und stütze dich vom Zion her!
4 Er gedenke all deiner Gaben,
dein Ganzopfer möge ihm gefallen!
5 Er gebe dir, was dein Herz begehrt,
und erfülle dir all dein Planen!
6 Dann wollen wir jubeln über deinen Sieg,
im Namen unsres Gottes das Banner erheben.
Der HERR erfülle dir all deine Bitten!
7 Nun weiß ich, der HERR schenkt seinem Gesalbten den Sieg!
Er gibt ihm Antwort von seinem heiligen Himmel her,
mit der Macht seiner siegreichen Rechten.
8 Die einen setzen auf Wagen, die andern auf Rosse;
wir aber gedenken des Namens des HERRN, unseres Gottes.
9 Jene stürzen und fallen,
wir aber bleiben aufrecht und stehen.
10 O HERR, schenke den Sieg!
O König, gib uns Antwort am Tag, da wir rufen!
Psalm 20 ist ein sog. Königspsalm. Insgesamt zählt man 11 Psalmen zu dieser Gattung: Ps 2; 18; 20; 21; 45; 72; 89; 101; 110; 132; 144. Sie sind entweder Gebete des Volkes für den König, Gebete des Königs selber oder Gedichte über den König. Ursprünglich bezogen sie sich auf den real existierenden König. Als es dann in Israel keine Könige mehr gab (nach 587 vC), bezog man sie auf den erwarteten künftigen König/Messias/ Christus.
Lesen wir Ps 20 zuerst einmal als Fürbitte des Volkes für seinen regierenden König „am Tag der Bedrängnis“, das heißt wohl: am Tag einer bevorstehenden kriegerischen Auseinandersetzung. Ich denke mir, die Situation ist die: Der König holt im Tempel das übliche Orakel ein, und das einberufene Volksheer ist anwesend. Seine Bitten gehen dahin: Gott möge dem König antworten (ein positives Orakel erteilen), er möge ihm beistehen, sein Opfer annehmen, seine Pläne aufgehen lassen, alle seine Wünsche erfüllen. Fällt der Gottesbescheid positiv aus, dann wird das Volk bereitwillig hinter dem König in den Kampf ziehen – mit zuversichtlichen Schlachtrufen, dem erwarteten Sieg entgegen.
Die 2. Strophe spricht ein Einzelner aus dem Volk – nach positiv ergangenem Gotteswort. Es spricht aus ihm die Gewissheit des Mitseins Gottes mit „seinem Gesalbten/Messias“. Gottes siegreiche Rechte wird ihm den Sieg verleihen.
Die 3. Strophe spricht wieder das ganze Volk. Es legt ein erstaunliches Bekenntnis ab: Andere Nationen bauen auf ihre überlegenen Waffen und ihre überragende Kriegstechnik. Israel hingegen setzt auf das Da- und Mitsein Gottes. Das Resultat ist umgekehrt, als menschliches Ermessen erwartet: Die schwerbewaffneten Heere fallen und bleiben auf dem Schlachtfeld liegen. Israel dagegen hält aufrecht stand.
Jetzt erst, ganz zum Schluss, wendet sich das Volk in direkter Anrede an Gott. Dem obigen Bekenntnis entsprechend, muss der Sieg geschenkt werden. Die letzte Zeile variiert bewusst die erste Zeile ab. „Antwort geben“ und „am Tag“ wiederholen sich. Dass der biblische Gott, der Gott Israels, auf den Notschrei der Armen antwortet, gehört zu seiner Wesensdefinition. So hat er sich offenbart, auf das wird er festgelegt.
Beachtenswert ist: Gott wird mit „König“ angeredet. Jetzt erst fällt auf, dass das Wort für den regierenden König, für den gebetet wird, nicht gebraucht wurde. Der Titel soll offenbar Gott vorbehalten bleiben. Niemand anderer als er ist „König“, niemand anderer als er ist wahrer Herrscher.
Wenn wir Ps 20 einmal auf diese Art und Weise gelesen haben, dann hat es einen besonderen Reiz, in einem zweiten Durchgang den „Gesalbten“ (= auf Griechisch „Christus“) mit dem Christus Jesus zu identifizieren. Wir könnten den Psalm beten, indem wir als „den Tag der Bedrängnis“ den Karfreitag verstehen. Das erwähnte „Ganzopfer“ wäre dann Jesu Tod am Kreuz. Dann äußere ich die Gewissheit, dass Gott „seinem Gesalbten den Sieg schenkt“: die Auferweckung durch Gottes „siegreiche Rechte“. Dann deckt sich die Schlussbitte mit der Vaterunserbitte „Dein Reich komme!“ Und das Bekenntnis der Verse 8 und 9 passt wahrlich zu Jüngern des Auferstandenen, der die Welt besiegt hat. Es lässt auch an die Worte des Paulus denken: „Wenn ich schwach bin, bin ich stark“ (2 Kor 12,10).
Psalm 20