Vergeltung an den Völkern

30. Okt 2024

Psalm 149

Psalm 149 steht an vorletzter Stelle im Psalter und ist wieder ein ausgesprochener „Kampfpsalm“. Sollten uns nicht beide Umstände etwas sagen: dass „Kampf“ zwar nicht das erste und das letzte Wort im Gebetbuch der Bibel ist, aber immerhin das zweite und vorletzte? Ist unser gelebter Glaube „kämpferisch“ genug?

Vergeltung an den Völkern

Psalm 149

1   Halleluja!

     Singt dem HERRN ein neues Lied,
     sein Lob in der Versammlung der Frommen!
2   Israel soll sich freuen über seinen Schöpfer,
     die Kinder Zions sollen jubeln über ihren König.
3   Seinen Namen sollen sie loben mit Reigentanz,
     mit Trommel und Leier ihm spielen.
4   Denn der HERR hat an seinem Volk Gefallen,
     er krönt die Gebeugten mit Sieg.

5   In Herrlichkeit sollen die Frommen frohlocken,
     sie sollen jauchzen auf ihren Lagern,
6   Hochgesänge auf Gott in ihrer Kehle,
     ein zweischneidiges Schwert in ihren Händen,
7   um unter den Nationen Vergeltung zu üben,
     Strafgericht bei den Völkern,
8   um ihre Könige mit Fesseln zu binden,
     ihre Fürsten mit eisernen Ketten,
9   um Gericht über sie zu halten, wie es geschrieben steht.
     Lichtglanz ist das all seinen Frommen.

     Halleluja!

Der Psalm wird wieder von zwei Halleluja-Rufen gerahmt, wie wir das schon bei Ps 113 bemerkt haben und wie das bei allen fünf Schlusspsalmen des Psalters der Fall ist: bei Ps 146; 147; 148; 150 und eben auch 149. Diese fünf Psalmen gehören zusammen und bilden miteinander das große Finale, das „Schluss-Hallel“. An vorletzter Stelle stehend, bildet Ps 149 außerdem ein Paar mit Ps 2. Wer sich an diesen Psalm erinnert (wir haben ihn besprochen und nannten ihn „Rebellion der Völker“), dem werden die engen inhaltlichen Berührungen auffallen zwischen Ps 2 und 149. Beide Male geht es um den Sieg über die rebellierenden Völker, die sich gegen die universale Gottesherrschaft auflehnen.

Doch schön der Reihe nach! In der 1. Strophe merken wir von diesem Zusammenhang zunächst noch wenig. Die „Frommen“ werden aufgefordert, in ihrer gottesdienstlichen Versammlung JHWH ein neues Loblied zu singen. Die „alten“ Loblieder auf Gott haben seine Geschichtstaten in der Vergangenheit besungen, vor allem den Auszug aus Ägypten, die Befreiung am Schilfmeer und den Einzug ins Land. Was nun „neue“ Hymnen erforderlich macht, sind seine neuesten, jüngsten Geschichtstaten: die endgültige Durchsetzung seiner Weltherrschaft. Dies ist Grund zu endzeitlichem Jubel und ausgelassener Festfreude, denn dass JHWH König geworden ist, bedeutet für das Gottesvolk und alle Gebeugten auf der Erde endlich „Sieg“ über alle unterdrückerischen Mächte, die nun ein für alle Mal ausgespielt haben.

Doch nun kommt’s dicker! Die 2. Strophe malt den Sieg aus – und zwar als militärischen Sieg des Gottesvolkes, das als Instrument des Strafgerichts Gottes über die Völker fungiert und dabei eine höchst aktive Rolle spielt. Sein Jubel ist Kriegsgeheul , sein Zeltlager das Militärlager, in seinem Mund führt es Hochgesänge auf Gott, in seinen Händen wütet das Schwert. Die Könige der Völker werden in Fesseln gelegt, in Ketten abgeführt, ihnen wird das Urteil gesprochen und sie werden offenbar öffentlich hingerichtet. „Herrlich ist das für all seine Frommen!“ – ein Hochgefühl, ein Rausch der Befriedigung, ein Hochgenuss der Vergeltung und Rache …
Unleugbar steht hinter der 2. Strophe des Psalms 149 die Vorstellung vom „Heiligen Krieg“. Die Bibel kennt diesen Ausdruck übrigens nicht, wohl aber den Begriff „JHWH-Krieg“ (vgl. 1 Sam 18,17; 25,28; Sir 46,3) sowie eine Reihe von Erzählungen über solche Kriege, in die JHWH durch Wunder eingreift und den Ausgang bestimmt. Diese Erzählungen sind allesamt story, not history – wie etwa die Amalekiter-Geschichte, mit der wir unsere Serie begonnen haben. Und dass ein Wesenszug JHWHs der eines machtvollen Kriegers ist, müssten wir unserer Psalmenreihe längst entnommen haben. Damit ist gemeint, dass er Partei ist und parteiisch in die Geschichte eingreift. „JHWH als Krieger, der sein Volk in den Krieg führt“ – dass dies ein literarisches Bild ist, kann nur ein Bibelfundamentalist nicht verstehen und wer es absichtsvoll missverstehen will. Historische und gegenwärtige Kriege so zu benennen, ist Missbrauch der Bibel.

Das gilt auch für unsere 2. Strophe. Man muss nur das Bild auch wirklich als Bild nehmen, um Ps 149 mit vollstem Herzen beten zu können. Ist nicht der Einsatz für Friede, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung bei aller gebotenen Gewaltlosigkeit trotzdem ein „Kampf“? Müssen nicht wirklich „Siege“ über ganz reale Kräfte und Mächte errungen werden? Erfüllt es nicht mit Genugtuung, wenn eine Firma, die um des raschen Gewinns willen wohlwissend enorme Umweltschäden anrichtet und damit zig Menschen ihre Gesundheit raubt, zu Reparationen in Millionenhöhe verdonnert wird? Kann nicht das „zweischneidige Schwert in ihren Händen“ als „Wort Gottes“ interpretiert werden – wie öfters in der Bibel (vgl. Jes 49,2; Sir 28,18; Weish 18,14-16; Ps 52,4; 55,22; 57,5; 59,8; 64,4-5), sodass der „Heilige Krieg“ mit zwei „Waffen“ geführt wird: mit dem Lob Gottes im Mund und dem Wort Gottes in der Hand? Muss man das Bild vom „Heiligen Krieg“ wirklich verabschieden, weil damit entsetzlicher Missbrauch getrieben wurde und wird?

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