Raus an den Fluss

06. Mai 2021

zu Johannes 15

Ein kleiner Ausflug an die Isar öffnet den Horizont für die große Perspektive.

Wieder einmal den Fuß in die Natur setzen und Wind und Wasser erleben, das tut gut.
Wieder einmal den Fuß in die Natur setzen und Wind und Wasser erleben, das tut gut.

So lange saß ich jetzt schon wieder vor dem Computer, wie fast jeden Tag in dieser Corona-Zeit. Dazu waren die letzten Abende angefüllt mit Videokonferenzen, was auf Dauer ziemlich anstrengend ist. Meine Schulter sagt mir durch Schmerzen, die ich schon seit Wochen spüre, dass meine Betätigung viel zu einseitig ist. Es war also mal wieder höchste Zeit rauszukommen. Ich schnappte mein Rad und fuhr drauflos. Irgendwie zog es mich heute zum Wasser. Ich weiß nicht genau warum, aber es war gerade eine Sehnsucht in mir, einen See aufzusuchen oder vielleicht einen Fluss. Ich fuhr in den Englischen Garten, zog unter flinkem Strampeln die langen Kurven entlang und kam schließlich an die Isar. Eine gute Weile fuhr ich oben auf der Böschung, parallel mit der Fließrichtung. Irgendwie lief es leicht, ohne viel Mühe, es machte mir fast den Eindruck, ein bisschen zu segeln. Vielleicht hat mich auch der Rückenwind unterstützt. Meine Blicke gingen immer wieder zum Wasser hin. Es war nicht viel los an diesem Tag. Es war kühl und ziemlich windig. Ich wartete auf die nächste Gelegenheit, den Fluss zu queren. Doch es zog sich eine ganze Zeit lang, bis ich vor mir eine Brücke erblickte, die ich nehmen konnte. Auf der anderen Seite fuhr ich gleich herunter zum Ufer hin, stellte mein Fahrrad ab und ging so weit vor zu dem fließenden Nass, dass meine Schuhe gerade nicht darin versanken.

Ich atmete, schaute, hörte die Vögel, sah in 50 Meter Entfernung einige Senioren mit ihren Hunden. Ich nahm mir Zeit, einfach da zu sein. Es tat so gut, endlich einmal wieder die Natur zu spüren, den Wind und das Wasser. Wasser hat auf mich eine sehr beruhigende und stärkende Wirkung. Es ist eine Urkraft, ohne die ja überhaupt kein Leben möglich wäre. Und auch ich selbst bestehe aus 70% Wasser, so sagen die Biologen. Wenn ich das mal auf meine Größe abbilde, dann bin ich bis zur Brust eine reine Wassersäule und von da ab aus festem Material. Beeindruckend!

Ja, dieser Fluss verbindet, er ist Teil eines großen Kreislaufs. Tagein, tagaus empfängt er sein Wasser von den Quellen und all den Regenwolken, geleitet die wilden Wogen durch sein Bett, wiegt sie hierhin und bald dorthin, wird selbst durch sie geformt, bis diese sich dann irgendwo still oder auch brausend in ein großes Meer ergießen. Durch Verdunstung steigt das Wasser dann wieder zum Himmel, regnet auf dem Land oder in den Bergen aus und alles beginnt von Neuem. Vielleicht tut es gut, in Kontakt mit dem Wasser zu kommen, weil es mir vom Leben und Verbundenheit erzhält. Leben, das ja auch in mir fließt und sich durch mich mit anderen Geschöpfen verbinden will. Irgendwie passt das zum Weinstockgleichnis, mit dem ich in letzter Zeit viel umgegangen bin.

So eine bunte Vielfalt habe ich in dem Einerlei des Kiesgrau am Ufer der Isar gefunden.
So eine bunte Vielfalt habe ich in dem Einerlei des Kiesgrau am Ufer der Isar gefunden.

Ich spazierte dem Wassersaum entlang bis zum anderen Ende der Kiesinsel. So viele abgeschliffene runde Steine lagen dort. Da entdeckte ich ein grün schimmerndes Teil zwischendrin. Ich nahm es in meine Finger, ja, es war tatsächlich eine Glasscherbe. Aber das Wasser hatte sie schon so lange bearbeitet, dass sie jetzt in meiner Hand zu einem Schmeichler wurde, so schön abgerundet und geglättet. Das machte mich neugierig und ich ging weiter auf Entdeckungstour mit meinen Augen. Irgendwie waren es oberflächlich betrachtet alles graue Kiesel, aber wenn man genauer hinschaute, konnte man interessante Entdeckungen machen. Dort, da lag ein ziegelrotes Stück, das wohl einmal Teil eines ganzen Ziegels gewesen sein musste. Mit vielen anderen solchen Steinen zusammen war es wohl einmal Teil eines Gebäudes gewesen? Welchen Menschen hat es ein Zuhause bedeutet und welche Geschichten hat es miterlebt? Und da, ein ganz interessanter Kiesel. Fast wie mit Intarsienarbeit ist in das gewöhnliche helle Grau eine braune Form eingelassen, die sich kontrastreich abhebt. Und erst jetzt auf den zweiten Blick sehe ich gegenüber eine feine weiße Zeichnung, in sich geschlossen, wie ein Umriss ... Ach, es erinnert mich am ehesten an eine Schutzmantelmadonna. Etwas weiter liegt ein bordeauxrotes Steinchen mit lauter weißen Streifen drüber. Und da, wohl ein Zeugnis unserer Zivilisation, ein Klumpen von kleineren Steinchen, vielleicht durch natürlichen Beton zusammengehalten. Und natürlich ein Stück angekokeltes Holz, das fehlt mir noch in der Sammlung. In den Isarauen wird bei schönem Wetter mit Begeisterung gegrillt oder man sitzt einfach ums Lagerfeuer herum. Romantisch.

Als ich alle Fundstücke schließlich in meinen Taschen verstaut hatte, schwang ich mich wieder aufs Rad und fuhr auf der anderen Flussseite Richtung Süden. Und ich dachte so bei mir, es ist doch wie bei den Menschen: Du siehst sie laufen und denkst dir nichts Besonderes. Irgendwie gehen sie alle im Grau der Menge unter. Wenn du dir aber Zeit nimmst, mit jemandem ins Gespräch kommst und Begegnung erlebst, dann wirst du das Einzigartige in jeder Person entdecken und sicher kann sie dir eine interessante Geschichte erzählen.

Ja, so lebe ich verbunden, bin Teil eines größeren Ganzen, und doch in meiner Person etwas Besonderes und Einzigartiges, das nicht wiederkehrt. Ich gehöre zu dem ewigen Fließen und Wiederkehren des Lebens, von der Vergangenheit bis in die Zukunft, und doch bin ich in diese Gegenwart hinein gestellt als ein einmaliger Ausdruck des aus Gott fließenden Lebens. In meinem Leben kann und möchte konkret werden, was als Schöpferkraft und Liebe durch alle Zeiten fließt, von der Erschaffung der Erde bis hin zu ihrer Verwandlung und Einswerdung mit Gott.

Das ist bestimmt eine interessante Perspektive auf das Bild des Weinstocks, mit dem Jesus das In- und Miteinander von göttlicher und menschlicher Kraft deutet. Es lässt erkennen, wie sehr Gott auf uns Menschen angewiesen ist, um in dieser Welt zu wirken. Wie sehr er uns einlädt, dass wir seine Kraft in uns wirken lassen und ihr Gestalt geben im Miteinander der Menschen und Geschöpfe.

Pater Thomas Heck SVD

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