Deutschland
11. Mär 2025
Der christliche Glaube lebt davon, dass er weitergesagt wird. Daher ist es notwendig, den eigenen Glauben auch in anderen Sprachen auszudrücken. Wie herausfordernd das ist, zeigt ein Fachbuch am Beispiel des Vaterunsers.
In den Sprachwissenschaften gibt es ein Spezialgebiet, das sich eigens mit Übersetzungen im Zusammenhang mit der Mission beschäftigt. Daran haben besonders Sprachwissenschaftler Interesse, nicht nur Missionare. In diesem Kontext haben sich im September 2022 ein gutes Dutzend Linguisten und Theologen zum Austausch getroffen, veranstaltet vom Steyler Missionswissenschaftlichen Institut.
Als Ausgangspunkt für die verschiedenen Überlegungen wurde das Vaterunser ausgewählt, weil es ein kurzer und feststehender Text ist, der in allen missionarischen Begegnungen relativ bald verwendet wird; die Menschen sollen ja auch beten lernen.
Aus diesem Austausch ist inzwischen ein Buch entstanden, das Anfang März 2025 veröffentlicht wurde – auf Spanisch mit einigen Beiträgen in Englisch und Portugiesisch (LINK zur Bestellung).
Die zwölf Beiträge beschäftigen sich mit Übersetzungen und Übersetzungsstrategien in indigene Sprachen Lateinamerikas: Quechua, Tarasco/Purhepecha, Náhuatl, Cumanagoto, Chaima, Mbyá, Yagán, Chiquitano-Bésɨro, Yurakaré, Chipaya, Tupi – Sprachen, von denen viele noch nie etwas gehört haben und die teilweise auch nicht mehr gesprochen werden.
Da geht es zum Beispiel um die Frage, wie man „tägliches Brot“ übersetzt, wenn es in einer Kultur und folglich in ihrer Sprache kein Brot gibt, sondern Bananen, Maisfladen, Fisch… Oder wenn es verschiedene Wörter für „im Himmel“ gibt – wie im Songtext „Imagine“ von John Lennon: „Imagine there’s no heaven […] Above us, only sky.” Der Übersetzer kommt ins Stocken: „Stell dir vor, es gibt keinen Himmel. […] Über uns nur …“ Ja, was denn?
So etwas ist natürlich ein herrliches Thema für Linguisten und ein Problem für alle Übersetzer. Genau zu diesem Aspekt gibt es im Buch einen Artikel von Stefan Silber. Zu den Autoren gehört auch Severin Parzinger, der lange mit den Steyler Missionaren studierte.
Im Buch findet sich auch ein Beitrag von mir, der den beiden ursprünglichen Textversionen des Vaterunsers im Neuen Testament (Mt 6,9–13 und Lk 11,2–4) nachgeht und die Textentwicklung vom griechischen Urtext bis zur lateinischen Version im Konzil von Trient nachzeichnet.
Insgesamt richtet sich das Buch mit seinen akademischen, eher komplexen Texten an ein Fachpublikum. Es wurde in die Reihe Collectanea des Anthropos Instituts aufgenommen, gerade weil es sich mit Fragen der Linguistik und der notwendigen Übersetzungsarbeit in der Begegnung mit anderen Kulturen auseinandersetzt.
Nicht immer suchen Linguisten den Austausch mit Theologen, doch bei dem Zusammentreffen 2022 wurde das Gespräch als konstruktiv und interessant empfunden. Zum Beispiel, wenn man in Betracht zieht, dass die Missionare vergangener Jahrhunderte nicht einfach das Latein oder Spanisch ihrer Herkunftsländer eingeführt haben (obwohl auch das geschah), sondern sie sich mit den Sprachen der Indigenen beschäftigten, sie studierten und versuchten, den eigenen Glauben in diesen Sprachen auszudrücken. Das ist auch eine Herausforderung für unsere heutige Zeit – es ist lebenswichtig und unumgänglich.
Text und Fotos: Christian Tauchner SVD