Vom Dreher zum Professor

Deutschland

12. Sep 2022

Am Anfang lernte er die Arbeit als Handwerker kennen, später widmete er sich mit großer Leidenschaft sein ganzes Leben der Forschung und akademischer Lehre. Pater Karl Josef Rivinius SVD ist Autor vieler Bücher.

Vom Dreher zum Professor

Nach dreijähriger Lehrzeit als Dreher bei Mannesmann (1950–1953), einer knapp dreijährigen Tätigkeit in diesem Beruf, Eintritt in die SVD, weil er in einem Missionsland für die Menschen da sein wollte. Aber es kam anders: Er wurde Professor für Kirchen-, Sozial- und Missionsgeschichte; mit Vorträgen und zahlreichen Veröffentlichungen hat er einen wissenschaftlichen Ruf erworben. Wir wollten wissen, was ihn geprägt hat und wie er über die Gegenwart und Zukunft von Kirche und Gesellschaft denkt.

Wir möchten Sie gerne näher kennenlernen, Pater Rivinius, wo sollten wir da beginnen?
Bei meinem Eintritt ins Noviziat als 26-Jähriger hatte ich eine Berufsausbildung absolviert und war schon ein relativ „alter Knabe“. Nach dem Theologiestudium wünschte die Generalleitung, dass ich zukünftige Priestermissionare ausbilden sollte. Ich hatte das große Glück, im Rahmen meines Promotionsstudiums in Münster an ein Forschungsprojekt der Akademie der Wissenschaften und Literatur in Mainz gesetzt zu werden, das sich mit der Herausgabe des gesamten Schrifttums des Mainzer Bischofs Wilhelm Emmanuel von Ketteler (1811–1877) befasste. Dabei lernte ich die wissenschaftliche Beschäftigung mit historischen Quellen kennen, eine für meine späteren Forschungen und Arbeiten überaus hilfreiche Erfahrung. Parallel dazu oblag ich dem Studium der Geschichte und Erziehungswissenschaft, das ich mit dem zweiten Staatsexamen als StR z. A. abschloss. Der Unterricht am Michael-Gymnasium in Ahlen/Westf. in den drei Fächern war mir wichtig, um pädagogische und didaktische Erfahrungen zu sammeln. Acht Jahre nach der Promotion in Münster wurde ich an der Uni Bonn habilitiert und erhielt die Venia Legendi für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte mit Einschluss der Missionsgeschichte.

Ihre Forschungstätigkeit hat eine ganze Reihe von Büchern hervorgebracht.
Als akademischer Lehrer fand ich, sollten Forschung und Lehre Priorität haben. Zu meiner Lehrtätigkeit an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Augustin seit dem SS 1976 habe ich an anderen Universitäten und Hochschulen Vorlesungen gegeben und Seminare abgehalten. Dazu gesellte sich viel Archivarbeit im In- und Ausland (in Rom Propaganda- und Geheimes Vatikan-Archiv, in Paris im Quai d’Orsay für China und im Archiv von St. Sulpice für die Ketteler-Edition und in Belgien im Arenberg-Archiv für Togo) für verschiedene Projekte. Zunächst habe ich auf Wunsch der Generalleitung über die Anfänge der China-Mission der SVD geforscht und eine Biografie über ihren ersten Bischof, Johann Baptist Anzer (1851–1903), geschrieben. Im Lauf der Jahre habe ich mehrere Bücher sowie zahlreiche wissenschaftliche Artikel und Beiträge publiziert. Dabei interessierte mich neben der Sozial- und Kirchengeschichte insbesondere die Tätigkeit der Missionare – nicht nur der Steyler – in einem andersartigen soziokulturellen Umfeld mit einer grundverschiedenen Weltsicht und Mentalität, diese darzustellen und die Arbeit der Missionare und Missionsschwestern angemessen zu würdigen. Sie haben viel und Erstaunliches geleistet, auch wenn ihre Arbeit und ihre bisweilen zu enge Allianz mit der weltlichen Macht derzeit im Rahmen etwa der Diskussion über den Rassismus und der Kolonialpolitik – zum Teil zu Recht – kritisiert wird. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass es auch in nicht wenigen Fällen eine belangreiche Interessendifferenz zwischen den Akteuren gegeben hat.

Mit Kollegen bei Mannesmann in den Ferien 1957 (2. v. r.)
Bei der Recherche in seinem zweiten Arbeitszimmer

Ein Meilenstein Ihrer Tätigkeit war sicherlich die Zeit als Rektor der Steyler Hochschule?
Ja, ich war insgesamt neun Jahre lang Rektor der Philosophisch- Theologischen Hochschule. In der ersten Amtsperiode (1980–1983) bestand die Hauptaufgabe in der Erstellung des Diplomstudiengangs nach den Vorschriften der Apostolischen Konstitution Sapientia Christiana vom 29. April 1979, der kirchlich und staatlich 1983 anerkannt wurde. In die zweite Amtsperiode (1992–1998) fielen die Vorarbeiten für die Erhebung der Hochschule zur Theologischen Fakultät und zur Erlangung des Promotionsrechts. Nach schwierigen Besprechungen mit dem damaligen Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner war es mir gelungen, sein Plazet zu weiteren Verhandlungen mit der Kongregation für das Katholische Bildungswesen zu erhalten. Die nachfolgende Entwicklung im Bereich der Hochschule gestalteten meine Nachfolger, die Patres Joachim G. Piepke und Bernd Werle. Ich hatte es aufrichtig bedauert, dass unsere Hochschule 2020 unter die Ägide des Erzbischöflichen Stuhls von Köln kam.

Wenn Sie an die Zukunft denken, wo sehen Sie die Ordensgemeinschaft in 10 oder 20 Jahren?
Da ich keine telepathischen Qualitäten besitze, vermag ich die Zukunft nicht vorauszusagen. Unstreitig ist jedenfalls, dass den Ordensgemeinschaften, den weiblichen wie den männlichen, schwierige Zeiten bevorstehen. Für sie alle stellen die Überalterung der Kommunitäten, die Finanz- und Personalfrage sowie der ausbleibende Nachwuchs ein enormes, ja existenzbedrohendes Problem dar, das es zeitig anzugehen und zu lösen gilt. Überdies ist die jeweils spezifische ordenschristliche Identität durch den rasanten und tief greifenden Wandel in Kirche, Theologie und Gesellschaft sowie durch das neue Lebensgefühl, die andersartige Mentalität und den Mainstream stark verunsichert worden; dies wird sich in der Folgezeit noch wuchtiger auswirken. In Anbetracht des sich vollziehenden Transformationsprozesses in Kirche und Gesellschaft sind im Blick auf die Realität und komplexe Gemengelage mutig neue Formen des Miteinanders und des religiösen Lebens zu entwickeln, die beispielsweise auch die jungen Mitbrüder in St. Augustin ansprechen. Bei der Entwicklung neuer Lebens- und Gebetsformen muss die orientierende Norm Jesus Christus sein, in dessen Nachfolge wir als seine Jünger stehen, zudem muss unsere Lebensgestaltung von den Menschen als authentisch wahrgenommen werden.

Interview: Renate Breuer
Fotos: Pater Václav Mucha SVD
und aus dem Archiv von Pater K. J. Rivinius SVD

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