Deutschland
14. Mär 2022
Gott zeigt jedem Menschen, was seine Sendung ist. Pater Norbert Cuypers SVD, der sich als "Hüter der Stille" versteht, geht dem Ruf Gottes nach in der Stille der Einsiedelei.
Ein erstes Jahr in der Einsiedelei ist im November 2021 für dich zu Ende gegangen. An deinen ersten Eindrücken durften wir teilnehmen, es gab eine Kolumne in „Leben jetzt“ und regelmäßige Berichte. Wie gehst du nun ins zweite Jahr des Lebens als Kontemplativer?
Wenn ich bedenke, wie schnell mein erstes Jahr in der Stille vorbeigegangen ist, kann ich selbst nur staunen. Mir ist das bewusst geworden, als ich in der letzten Silvesternacht mit Hilfe meines Tagebuchs einen Jahresrückblick hielt. Mein Leben in der Klause verläuft wesentlich entschleunigter und unaufgeregter, als in der Zeit im umtriebigen Berlin. Dennoch habe ich bisher keine Langweile erleben müssen. Das liegt vielleicht daran, dass ich auch im zweiten Jahr auf der Dörnschlade die spirituellen Prozesse in meinem Leben als Ordensmissionar sehr intensiv wahrnehme und sie gemeinsam mit Menschen meines Vertrauens reflektiere. Interessant finde ich in diesem Zusammenhang auch, auf wieviel mediales Interesse mein Lebensstil im vergangenen Jahr gestoßen ist. Man war bzw. ist immer noch „neugierig“, mehr über mein Leben hier zu erfahren. Selbst wenn die Kamera oder das Mikrofon bereits ausgestellt waren, fragten die Journalisten oft noch weiter. Fast so, als ob sie sich für ihr eigenes Leben Antworten erhofften. Viele wirkten angerührt und bedankten sich ausdrücklich. Menschen finden es anscheinend spannend, was ich hier zu leben versuche und sehen darin vielleicht auch eine Art prophetische Alternative, heute den christlichen Glauben mehr von der Mystik zu deuten und zu leben.
Was hat sich verändert?
Veränderungen brauchen Zeit, viel Zeit. Das gilt auch für das geistliche Leben in einer Klause. Was mich persönlich betrifft, so kann ich sagen, dass ich ja im Grunde immer noch der gleiche Mensch bin, wie früher. Man nimmt sich überall hin mit. Man kann vor sich selbst letztlich nicht flüchten. Wenn man allein lebt, wird man sich auch mancher dunklen Seiten seines Charakters bewusst und das ist nicht immer leicht anzunehmen. Vielleicht ist das ja auch ein Grund, warum sich Menschen so oft vor der Stille und dem Alleinsein fürchten und eine ständige Geräuschkulisse – selbst in der Liturgie! – brauchen, um nicht die lauten Stimmen im Innersten ihres Herzens hören zu müssen. Für eine authentische Menschwerdung ist das meines Erachtens aber unabdingbar. Es geht im geistlichen Leben immer auch um Heil-Werden, um seelische Gesundung. Seitdem ich mehr Stille in meinem Leben in der Klause wage, reagiere ich sicherlich auch „dünnhäutiger“ auf äußere Umstände. Ganz sicher bin ich in den letzten Monaten lärmempfindlicher geworden und ich versuche, mich ihm zu entziehen. Auch unnützem Gerede gehe ich, soweit es geht, aus dem Weg, auch wenn ein gewisser „Smalltalk“ zum zwischenmenschlichen Beziehungsgeschehen irgendwie dazugehört. Andererseits gehen mir die anvertrauten Sorgen und Nöte der Menschen, die mit mir das persönliche Gespräch suchen, länger durch den Sinn, als früher. Im stillen Gebet versuche ich, das alles bei Gott abzugeben, was manchmal auch nicht so einfach ist, wie es klingen mag.
Die Pandemie hindert uns nach wie vor daran, unbeschwert zusammenzutreffen. Man könnte meinen, in einer Einsiedelei macht das wohl keinen Unterschied?
Meinen christlichen Glauben möchte ich als Eremit in geerdeter, authentischer Weise und sehr konkret leben. Auch in Zeiten der Pandemie. Selbstverständlich habe ich mich deshalb auch impfen und boostern lassen. Das war für mich überhaupt keine Frage, obwohl ich im Alltag tatsächlich relativ wenig Kontakt mit einer größeren Anzahl von Menschen habe. Eigentlich ist das nur der Fall, wenn ich zum Einkaufen in den Supermarkt gehe, oder einem Gottesdienst vorstehe. Andererseits treffe ich auf Menschen im Seelsorgegespräch, bei der Beichte und oder auch, wenn ich Besuch von Freunden bekomme. Diesbezüglich werde ich weiterhin vorsichtig bleiben, aber keinesfalls ängstlich werden. Dazu hilft ja auch der gesunde Menschenverstand und den habe ich natürlich nicht vor der Klause abgegeben.
Haben sich für dich in diesem Jahr neue Ziele und Herausforderungen herauskristallisiert?
„Das Alltagskleid der Liebe ist die Treue“ hat mir vor vielen Jahren mein alter Novizenmeister Johannes Wölfel ins Stammbuch geschrieben. Da ist viel Wahres dran. Da ich alleine lebe, habe ich ja kein Korrektiv der Gemeinschaft. Keiner schaut nach, ob ich auch dann meine Schweigemeditation mache oder mein Tagebuch schreibe, wenn ich mich lustlos fühle oder einfach nur müde. Wenn ich allerdings zu träge bin, den Abwasch rechtzeitig in Angriff zu nehmen oder das Bügeln meiner Hemden verdränge, werde ich sehr schnell merken, dass ich kein sauberes Geschirr mehr habe und kein Hemd zum Wechseln. Insofern ist die Treue zur Tagesordnung, die ich mir selbst auferlegt habe, eine echte Herausforderung, die auch im zweiten Jahr in der Klause bleiben wird. Eine andere Herausforderung bleibt die Achtsamkeit. Routine im Alltag kann hilfreich sein. „Halte die Regel, dann hält die Regel dich!“ Darin steckt eine gewisse Weisheit. Routine kann aber auch die Achtsamkeit töten. Flexibilität geht verloren und spirituelle Neugier wird ausgelöscht. Man weiß, was einen jeden Tag erwartet und versumpft schneller im Alltagstrott, als einem lieb ist. Das kann selbstverständlich auch im geistlichen Leben passieren. Schnell kann es geschehen, dass man glaubt zu wissen, wie Gott tickt, was er von einem frommen Ordensmensch erwartet und was nicht. Dann spult man im gewissen Sinne sein religiöses Pensum ab, versäumt vielleicht dabei aber auch das Neue, das Gott einem für sein Leben und seine Sendung zeigen will. Auch als „Hüter der Stille“ muss ich achtsam bleiben, damit mir das nicht passiert.
Hast du neue Erkenntnisse gewonnen, vielleicht Ratschläge zu geben, neue Perspektiven, die sich eröffnen für dich, vielleicht auch für andere?
Anderen Menschen Ratschläge zu erteilen hat mir schon immer fern gelegen, denn Ratschläge können eben auch Schläge sein. Daran versuche ich mich in meinem Leben als Ordensmissionar zu halten. Für mich persönlich aber habe ich die Erkenntnis gewonnen, dass mein geistliches Leben ein immerwährender Prozess ist, mit dem ich nie fertig werde. Egal, wie alt ich werde, in der Beziehung zu Gott bleibe ich immer Anfänger. Deshalb möchte ich weiterhin offen und achtsam bleiben und mich in dieser Zeit des epochalen Umbruchs in der Kirche von Gott immer wieder neu überraschen lassen.
Interview: Redaktion „Steyler aktuell“
Fotos: Pater Norbert Cuypers SVD