Mission braucht eine Form von Liebe

Deutschland

17. Jun 2022

Bruder Gregor Weimar SVD arbeitet zurzeit an der School of Oriental and African Studies in London an seiner Dissertation zur Mandschu-Religiosität. In einem Interview erzählt er uns von seinem Studium.

Mission braucht eine Form von Liebe

Bruder Gregor Weimar SVD hat 2006 sein Noviziat bei den Steylern begonnen und 2012 seine Gelübde abgelegt. Die Liebe zur Kultur und Historie Chinas hat P. Roman Malek SVD, Mitbegründer des China-Zentrums und langjähriger Leiter des Instituts Monumenta Serica (IMS), in ihm verstärkt. Zurzeit arbeitet er an der School of Oriental and African Studies in London an seiner Dissertation zur Mandschu-Religiosität und untersucht insbesondere eine mandschurische Bibelübersetzung des Jesuiten Louis Antoine de Poirot (1735-1814).

Was hat Sie an diesem sehr speziellen Studiengebiet interessiert?
Es gibt nicht viele Spezialisten für die mandschurische Volksgruppe (die Mandschurei ist nördlich der heutigen Nordkoreanischen Grenze gelegen) und obwohl sie die letzten chinesischen Kaiser der Qing-Dynastie von 1644 bis 1911 gestellt hat, wird zu ihren Texten in westlichen Sprachen kaum geforscht. Durch Zufall habe ich im IMS Texte entdeckt, die in der mandschurischen Sprache in China zu christlichen Themen erstellt worden sind, darunter eine Bibelübersetzung. Weiterhin beschäftige ich mich mit der religiösen Zensur im China des 18. Jahrhunderts. Die Mandschuren existieren noch, aber sie haben sich sehr in die chinesische Mehrheitskultur der Han-Chinesen assimiliert und sind daher aus dem Alltagsleben de facto verschwunden. Das hat mich fasziniert und ich habe begonnen, die Sprache zu lernen. Hier in London habe ich mit Prof. Lars Lahmann einen herausragenden Wissenschaftler und Doktorvater gefunden. Dass ich mich mit diesen Sachen beschäftige, hängt auch mit meinem Missionsverständnis zusammen. Wenn man Mission betreiben will, muss man sich mit den Leuten und ihrer Kultur beschäftigen und sich ihnen dabei mit einer gewissen Form von Liebe nähern. Sich aus Liebe heraus bemühen, den anderen wirklich zu verstehen und nicht quasi pragmatisch denken „Wie kann ich ihn am besten missionieren“.

Ist denn die mandschurische Kultur heute noch in China spürbar?
Die Kultur ist heute in China nicht spürbar. Historisch gesehen, waren die chinesischen Kaiser anfangs westlichen Einflüssen gegenüber wohlwollend eingestellt. Der Jesuit Matteo Ricci und seine Mitbrüder arbeiteten am chinesischen Kaiserhof als Astronomen, Mathematiker, Uhrmacher und Künstler, bis leider Anfang des 18. Jahrhunderts das Misstrauen immer mehr wuchs, weil es immer mehr um die Frage der Autorität ging: ist es der Papst in Rom oder der chinesische Kaiser, der sagt, wie man in China verehren soll? Das ist in China eine sehr wichtige Frage. Also, der persönlich gelebte Glaube von Europäern in China ist den Chinesen bis heute ziemlich egal. Aber wenn die christliche Religion die Bevölkerung erreicht und eine politisch-soziale Auswirkung entfaltet, entsteht das Problem. Für Christen geht es ja häufig um die soziale Auswirkung: wie verhält man sich zu den Armen, zu den Kranken? Es waren ja gerade die Missionare, die Schulen errichtet haben und sich um Waisen gekümmert haben. Erstmals 1724 verbot ein Edikt des chinesischen Kaisers Yongzheng, der von 1722 bis 1735 regierte, explizit den Katholizismus. Es gab Verfolgungen und es gab Bücherzerstörungen. Am Anfang war da noch Neugier. In den frühen Texten von Matteo Ricci kann man lesen, wie er sich mit den chinesischen Intellektuellen und buddhistischen Mönchen auseinandergesetzt hat. Das wurde im 18. Jh. pragmatischer und man hat nur noch Jesuiten nach Peking gelassen, die einen praktischen Nutzen für den Kaiserhof als Übersetzer, Maler usw., hatten. So wurden Jesuiten, weil sie Mandschurisch und Latein verstanden, für viele der damaligen Verhandlungen zwischen Russland und China hinzugezogen. Die russische Gesandtschaft konnte Texte, die aus dem Mandschurisch ins Lateinische übersetzt waren, ins Russische übertragen. So konnte man kommunizieren.

Mit Jugendlichen in Japan
Mit Studenten in Sankt Augustin

Wie lange wird Ihr Studium denn dauern und welches Ziel streben Sie danach an?
Ich habe das historische Pech, mein Studium 2019 fast zeitgleich mit der Pandemie begonnen zu haben. So konnte ich im zweiten akademischen Studienjahr leider nicht nach Tokio reisen, wo es ein gutes Archiv gibt und aufgrund der aktuellen Situation ist auch das Institut für orientalische Manuskripte in St. Petersburg bis auf weiteres nicht zugänglich. Die Idee ist, dass ich danach im Institut Monumenta Serica arbeite. Meine Spezialisierung ermöglicht es mir, die mandschurische Sprache zu unterrichten. Das habe ich letzten Herbst gemeinsam mit meinem Doktorvater begonnen und es macht mir sehr viel Spaß. Die Sprache wird an einigen Orten in China gelehrt, aber kaum im Westen. Die meisten Studenten sind Chinesen, die hierherkommen, um mit westlichen Quellen über chinesische Themen aus der Zeit des 17.-19. Jahrhunderte historisch zu arbeiten und eine andere Sichtweise zu erlangen. So haben wir zurzeit auf verschiedenen Sprachniveaus etwa 15 Studierende. Ich betreue die Anfänger und Prof. Lahmann betreut die Lesegruppe, die Leute in verschiedene Textarten einführt, etwa in historische Verträge oder buddhistische Texte oder chinesische Klassiker, die ins Mandschurische übersetzt worden sind. Das macht mir wirklich sehr viel Spaß und ich hoffe, dass wir in den nächsten Jahren einen systematischen Sprachkurs aufbauen können, von denen es nicht viele gibt. Bei unserem Mandschu-Workshop in München 2019, waren 10 Europäer und ein paar Amerikaner. Das klingt vielleicht merkwürdig, aber mein akademisches Interesse gilt dieser ersten offiziellen Sprache der Qing-Dynastie, die heute so komplett vernachlässigt wird.

Wie beurteilen Sie Chinas wachsendes Engagement und seine Einflussnahme in der Welt?
Es ist derzeit leider so, dass in akademischen Kreisen immer stärker von Zensur die Rede ist. Wie geht man damit um? Bei der Entwicklungshilfe westlicher Länder könnte man ja ebenso die Frage nach der Motivation stellen. Das Problem bei den chinesischen Engagements ist, dass damit immer auch eine gewisse Form von Zensur einhergeht, die sich dann immer weiter ausbreitet. Die Chinesen, genauer gesagt, die chinesische Regierung, propagiert eine gewisse Geschichtslesung, also, was Geschichte beinhaltet und was sie nicht beinhalten sollte. Deswegen werden Texte, die Ereignisse des 18. Jh. oder später beschreiben, wie den Opium-Krieg und andere historische Verwundungen, in China heute noch immer verknüpft und mitgelesen und entfalten eine Wirkung. Mehr als anderswo.

Ist denn der Kommunismus in China in der Historie schon angelegt?
Nein. Ich würde es andersherum sehen: der Kommunismus ist nicht angelegt, aber die Prinzipien die hinter der chinesischen Politik stehen, sind immer noch dieselben. Ich beschäftige mich ja mit Religion und Religionspolitik und da gilt: eine Religion ist dann gut, wenn sie dem Staat hilft.

Und Individualismus ist nicht wirklich vorgesehen?
Individualismus und was damit zusammenhängt ist, glaube ich, eine andere Frage und steht nicht im Fokus. Im Fokus ist die Aufgabe des Staates, der Regierung, die soziale Stabilität und Harmonie aufrechtzuerhalten. Alles, was gegen diese Harmonie und die Stabilität geht, wird verdammt. Also ist eine Religion dann häretisch – und da geht es nicht um theologische Abwägungen – wenn sie Menschen dazu anstiftet, gesellschaftliche Strukturen und politische Autoritäten in Frage zu stellen und anzugreifen und rebellisch zu sein. Das war schon in der Qing-Zeit das Schlimmste, was man machen konnte, Leute zur Rebellion anzustiften. Rebellen wurden exekutiert und ihre ganze Familie erlitt dasselbe Schicksal oder wurde ins Exil geschickt. Dafür gibt es historische Beispiele. Auch was in der Kulturrevolution 1966-76 passiert ist, war ähnlich. Die Rolle von historischer Forschung ist ja, dass man sich mit Dingen beschäftigt und schaut, wie sie sich auf die heutige Situation auswirken. Und in China entscheidet die Regierung eben auch darüber, was für oder gegen den Staat ist.

Interview: Renate Breuer

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