Das Herz schlägt noch im Kongo

Deutschland

20. Jul 2022

Für Pater Alfons Müller SVD beginnt ein neuer Lebensabschnitt. Nach 55 Jahren als Missionar im Kongo ist Pater Alfons Müller SVD in seine Heimat, nach Deutschland, zurückgekehrt. Wir haben ihn nach seinen Eindrücken gefragt.

Das Herz schlägt noch im Kongo

Lieber Alfons, erzähle uns aus deinem Leben!
Ich bin im saarländischen Großrosseln geboren, 30 Meter von der französischen Grenze entfernt. Meine Mutter war zur damaligen Zeit abwechselnd Deutsche oder Französin, das ging hin und her. Wir waren „Grenzgänger“ im wahrsten Sinne des Wortes, eine für mich prägende Erfahrung. Mein Vater war Bergmann im Über- und Untertagebau. Wir waren ein katholisches Dorf, im Nachbardorf waren die Hugenotten. Als Kind habe ich die Grenze manchmal als Trennung erlebt und manchmal als Chance und Herausforderung, sie zu überwinden. Nach der Grundschule kam ich 1949 ins Missionshaus nach St. Wendel, wo ich bis zur Oberprima die Schule besuchte. Da ich gerne in die Kirche gegangen bin und als Ministrant die Messe gedient habe, waren meine Eltern und der Pfarrer überzeugt, dass ich zu den Steyler gehen sollte. Die Erziehung im Missionshaus war sehr streng. Doch wir waren erfinderisch und konnten die strengen Regeln auf unsere Art halten und auf unsere Kosten kommen (er lacht). Nach dem Abitur wurden einige von uns nicht ins Noviziat zugelassen, darunter auch ich. Doch die Zugelassenen waren sich einig und sagten zu den Oberen: Wenn Alfons nicht mitkommt, dann brauchen wir auch nicht ins Noviziat zu gehen. Daraufhin bekam ich einen Brief vom General Johannes Schütte SVD, dass ich doch zugelassen würde. Mit der Einkleidung begann in Sankt Augustin das Noviziat. Nach dem ersten Jahr folgte im zweiten Jahr parallel dazu das erste Jahr der Philosophie in Sankt Augustin. Das zweite Jahr der Philosophie absolvierten wir in Sankt Gabriel. Die Zeit in Österreich nutzten wir zum Durchatmen. Es hat uns richtig wohlgetan, auch die kulturellen Zentren in Wien zu erleben. Wir setzten das Studium der Theologie in Sankt Augustin fort und wurden am 17. Oktober 1964 zu Priestern geweiht. Wir waren eine starke Gruppe von 36 und hielten alle zusammen. So konnten wir auf unsere Art das Ordensleben neugestalten. Nach der Priesterweihe wollte ich unbedingt in die Mission gehen, entweder nach Papua-Neuguinea oder in den Kongo. Mein bester Freund, Pater Franz Defland SVD, wurde nach PNG geschickt, mich schickte der Orden in den Kongo. So waren wir beide Missionare aber weit voneinander entfernt. Nach einem Jahr praktischer, pastoraler Erfahrung und einem Rhetorikkurs in der französischen Sprache fuhr ich mit dem Schiff namens „Fabiola“ von Antwerpen in den Kongo. Die ersten Aufgaben, die mir anvertraut wurden, waren zunächst Unterricht in der Schule und praktische Tätigkeit im Busch bei den Menschen, wo ich dann auch die Kikongo-Sprache gelernt habe.

Arbeit auf dem Hofe in der Ferienzeit
Fotografieren war ein Hobby von Pater Alfons

Wie war dein Missionsverständnis damals?
Ich erinnere mich noch sehr genau an Pater Kraus SVD, der uns lehrte, was ein Missionar zu tun habe. Er sagte: „Die primitiven Völker in Afrika müssen zunächst ein kulturelles Niveau haben, um Christen werden zu können.“ Dieser Satz hat mich umgehauen. Als ich die ersten Kontakte zu den Kongolesen geknüpft hatte, verzichtete ich darauf, die Menschen im Busch auf ein besseres Niveau bringen zu wollen. Natürlich dachte ich, ich bin gekommen, weil die Menschen mich brauchen. Aber mir wurde schnell klar, dass die Menschen mich nicht gerufen hatten. Also musste ich mein Missionsverständnis komplett umkrempeln. Zunächst habe ich versucht, die Sprache zu lernen und mich auch mit der Kultur vertraut zu machen. Mit den Christen in verschiedenen Dörfern kamen überein, die Feier der Liturgie in einer Kapelle zu gestalten, die aber zuerst von ihnen gebaut werden sollte. Sobald sie eine Kirche selbst gebaut hatten, kam ich zu ihnen und feierte dort Gottesdienst.

Du hast ein Talent für Medien, Musik und Film. Wie hast du es genutzt?
Schon in der Gymnasialzeit haben wir gelernt, wie Radio- und Tonbandgeräte gebaut werden. Im Noviziat haben wir angefangen, mit einem Tonbandgerät Interviews mit unseren Mitbrüdern aufzunehmen. Dann habe ich auch sehr früh angefangen, Gitarre zu spielen. Diese Begabungen haben mir geholfen, meine Mission zu gestalten und später auch die Aufgabe als Koordinator für Kommunikation im Kongo zu realisieren. Es war damals auch die Zeit des zweiten vatikanischen Konzils. Eine Aussage von Papst Paul VI hat mich besonders beeindruckt: „Ihr selbst seid die Missionare, also findet doch die richtigen Missionsmethoden! Baut nicht so viele Kirchen, dafür mehr Studios, um das Wort Gottes zu verkünden.“ Das hat mir gefallen und so versuchte ich, den Christen in den Pfarreien Lieder beizubringen. Es waren aber europäische Lieder, die wir lange üben mussten. Ihre eigenen Lieder haben sie „aus der Lameng“ (rheinisch für „spontan“) und ohne Anstrengung gesungen. Also habe ich ihre Melodien übernommen und religiöse Texte in Kikongo dazu geschrieben und so entstand eine ganze Sammlung von Liedern, die wir in der Liturgie gesungen haben.

Pater Alfons im Gottesdienst
Pater Alfons unterwegs mit der Kamera.

Wie bist du mit dem Medium Foto und Film in Berührung gekommen?
Ich habe schon zu Hause gerne fotografiert. Als ich nach Sankt Augustin kam, fand ich da viele Bilder von Pater Johannes Rzitka SVD, der aus Diapositiven ganze Filmserien zusammengestellt hatte. Das war im Jahr 1959, da kamen viele Menschen aus der Umgebung, um diese Bilder und Filme zu sehen. Sie waren begeistert. Das habe ich im Kongo aufgegriffen und mit einer VHS-Kamera zu filmen begonnen. In Kanada habe ich an der Universität Sankt Paul einen Kurs gemacht, um zu lernen, wie man Kommunikation richtig gestaltet. Da durften wir mit professionellen Kameras arbeiten. Nach dem Kurs kam ich wieder nach Kinshasa im Kongo, wo ich in der Pfarrei St. Alphons gearbeitet habe. Morgens war ich im Studio und nachmittags in der Gemeinde. Auch da habe ich wieder mit einem Chor angefangen, Lieder in ihrer eigenen Muttersprache aufzunehmen. Daraus entstand eine Kassette mit Liedern in Kikongo. Sie war ein Renner für die ganze Bevölkerung. Insgesamt wurde 40 000 Kassetten verkauft. Dann haben wir die ganze Zairische Messe eingeübt, aufgenommen und zelebriert.

Was glaubst du, hat dein Engagement in der Kommunikation bewirkt?
Der Bischof Kwambamba hat mir einen Brief geschrieben, in dem er sagt: „Danke für die Aufwertung und Einbeziehung unserer Kultur. Die Menschen konnten in ihrer eigenen Sprache beten, singen, tanzen und die Liturgie feiern.“ Damit hat er meine Tätigkeit bestens zusammengefasst, genau das war auch mein Ziel.

Nun hast du den Kongo und Afrika für immer verlassen. Wie fühlt sich das an?
Ich bin dabei, die Nabelschnur zu trennen. Das geht aber nicht so einfach. Die Nabelschnur besteht aus vielen Fäden. Jeder Faden ist eine Verbindung und jede einzelne Verbindung zu durchtrennen, ist sehr schmerzhaft. Mein Körper ist hier, mein Herz ist immer noch im Kongo. Ich wollte bis zum Ende meines Lebens dortbleiben. Ich habe mich aber entschieden, zu gehen. Die Menschen haben mir nie Nein gesagt, es war immer ein Ja. Aber ich habe gelernt, dass ein Ja viele Schattierungen hat. Es gibt ein Ja, wo ich weiß, dass sie es auch als Ja meinen, aber es gibt auch ein Ja, das eigentlich Nein bedeutet. Deshalb habe ich mich entschieden, nach Deutschland zurückzukehren, weil ich verstanden haben, dass es besser ist, wenn ich gehe. Und ich akzeptiere es auch, damit sich auch die Projekte weiterentwickeln können, die ich begonnen habe.

Jetzt bin ich wieder in Deutschland und muss mich auf die Regeln einstellen, die hier gälten. Das wird sicherlich nicht ganz einfach, aber ich muss mich daran gewöhnen.

Interview: Pater Václav Mucha SVD

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