Missionswissenschaft für Einsteiger

Deutschland

18. Nov 2021

Was könnte die “Jugend von heute” am Thema Mission interessieren? Ziemlich viel. Diese Erfahrung haben drei junge Menschen im Gespräch mit Pater Dr. Eugen Nunnenmacher SVD gemacht.

Interview mit Pater Eugen Nunnenmacher SVD

Wenn Alt und Jung ins Gespräch kommen, ihre Gedanken im offenen Dialog miteinander austauschen und sich für eine gemeinsame Sache interessieren, dann profitieren beide Seiten davon. So war es auch bei dem Gespräch, zu dem die drei jungen Leute, Caroline Breuer, Zita Fassbender und Eduardo Silva SVD den Missionswissenschaftler Pater Eugen Nunnenmacher eingeladen hatten. Hier einige Ausschnitte aus dem Gespräch:

Pater Eugen, was bedeutet „Missionswissenschaft“ eigentlich, was kann man sich heutzutage darunter vorstellen?
Die Erklärung würde eine längere Auskunft erfordern. Daher ganz kurz gesagt: Missionswissenschaft ist eigentlich eine überflüssige Sache. Aber Achtung (er hebt den Zeigerfinger): nur da, wo Kirche und Pastoral gut funktionieren. Die Kirche ist ihrem Wesen nach missionarisch. Wenn sie es nicht ist, ist sie noch nicht voll erwachsen. Das gilt überall da, wo Kirche versäumt, über die Grenzen der eigenen Gemeinde hinauszuschauen. Solche Kirchen sind, erwiesenermaßen unvollständig und unreif, ob sie nun jung sind, oder alt. Wenn sie sich nicht missionarisch auswirken in die Welt hinein, sondern nur für die braven getauften Leute ein bisschen Sakramente spenden, dann erfüllen sie nicht ihren Auftrag. Die Missionswissenschaft hat betont ausgedrückt, dass die Kirche nicht nur dafür da ist, die Christen zu versorgen, sondern vor allem auch, die nicht christliche Welt zu erfassen. Diesem Anliegen dient die Missionswissenschaft. Sie unterstreicht die Bedeutung der christlichen Botschaft für die ganze Menschheit.

Wie sind Sie denn dazu gekommen, sich der Missionswissenschaft zu widmen?
Ich war weder Messdiener, noch ein großer Freund der Geistlichkeit, der ich lieber aus dem Weg gegangen bin, aber das Missionarische hat mich schon als jungen Menschen gepackt. Ich habe mich dann für den Ausbildungsweg hier in Sankt Augustin bei den Steyler Missionaren entschieden und mich für ein “Missionsland” gemeldet. Aber ich wurde nach Amerika geschickt, um Religionssoziologie und Kulturanthropologie zu studieren. Der Zugang zum Menschen interessierte mich. Danach habe ich mich in Lyon, Frankreich, mit sogenannter Dritten-Welt-Studien auf Afrika vorbereitet und bin anschließend in den ehemals Belgischen Kongo gereist und habe dort als Buschmissionar gearbeitet. Nach einigen Jahren war ich zum Erneuerungskurs in Nemi und kannte Theologie, Soziologie und Anthropologie, aber ich fragte damals: wo ist das eigentlich Missionarische, das menschliche Element, das zum Religiösen gehören sollte? Das war vielleicht doch noch etwas schwach entwickelt. Nach dem Doktorat in Missionswissenschaften bin ich zurück nach Afrika, bis ich als Professor an die päpstliche Universität Urbaniana in Rom gerufen wurde. Aber, typisch für die SVD: es war nicht meine letzte Station. Ich wurde nach Nairobi eingeladen, wo eine gemeinsame Theologie-Ausbildungsstätte für ganz Afrika geschaffen wurde. Ich habe in vielen Ländern doziert, sowohl in Ostafrika, wie auch in Westafrika. Nach einigen Jahren wurde ich zurück an die Hochschule Sankt Augustin gerufen.

Was hat Ihnen mehr Freude gemacht, das Unterrichten in Deutschland oder das Missionieren in Afrika? Hatten Sie manchmal Heimweh?
Wenn man einmal in Afrika war, wird man von dem “Virus” gefangen genommen und hat dann Heimweh nach Afrika. Man muss sich zu Hause fühlen, wo man arbeitet. Um in Afrika zu unterrichten, muss man es kennen, sonst wird man nicht akzeptiert. In meiner Zeit als Buschmissionar habe ich Afrika und viele seine Tradition kennengelernt. Das lernt man nicht in einer Großstadt. Wer hier ein guter Professor ist, muss es dort nicht unbedingt sein. Er muss seine Erfahrungen mit dem Leben der Leute machen. Die Sprache und die Mentalität der Leute zu kennen, ist wichtig, um mit ihnen zu kommunizieren. Manche Dinge, die man in Afrika erleben kann, sind für uns schockierend. Zum Beispiel spuckte eine alte Frau bei der Kreuzverehrung am Karfreitag auf das Kreuz. Nur wenn man weiß, dass die Berührung mit Speichel positiv bewertet wird, kann man das verstehen. Jesus heilte Blinde durch Berührung mit Speichel. Die Frau wollte die Wunden Christi lindern.

Modernes Missionieren und die Produktion von Medien, gehört das für Sie zusammen, um den Menschen Missionswissenschaft nahezubringen?
Ich bin sehr für Medien, wenn man mit ihnen umgehen kann. Im Busch sind es die verschiedenen Trommeln, die Botschaften verkünden. Bestimmte Trommeln darf nur der Häuptling verwenden, andere sind für besondere Rituale reserviert, wieder andere dienen dem Tanz und der Unterhaltung usw. Das sind Buschmedien, aber man muss sie kennen, um sie richtig einzusetzen.

Wenn Sie der heutigen Jugend einen Rat geben würden in Bezug auf die Missionswissenschaften, was wäre das, hat das eine Zukunft?
Ich würde sagen, ja. Nicht, weil es eine Spezialität ist, die für Missionare etwas bedeutet, sondern für die einheimische Kirche. Vor vielen Jahren hätte man sagen können, unsere Kultur in Deutschland ist fast christlich. Heute haben wir so viele Migranten, so viele Religionen, die alle erfordern, dass man sich darauf ausrichtet und entsprechend handelt. Wir reden viel von Inkulturation (dieser Ausdruck gefällt mir nicht so richtig, weil er oft zu Missverständnissen führt). Ich rede lieber von Kontextualisierung, das ist wichtig. Denn manche Leute meinen, ihre Kultur sei einfach die Kultur schlechthin. Und da geschieht dann das Dumme, dass man meint, Kultur sei eine feste Sache und so wichtig, dass sie einfach unantastbar wird. Und dabei vergisst man, dass jede Kultur auch ein menschliches Konstrukt ist. Eine menschliche Angelegenheit, die ich in meinem gesellschaftlichen System aufbaue und die damit alles Menschliche an sich hat. Daher würde ich der Jugend von heute sagen: Wer nicht offen ist für Neues und auf diese traditionellen Dinge steht und sie für unumstößlich hält, der baut ein Museum, der hat einen Friedhof angelegt, für Dinge, die schon tot sind und die man nur noch im Museum betrachten kann.

Wie würden Sie jungen Menschen zeitgemäßes Missionieren erklären? Junge Menschen verbinden mit Mission wahrscheinlich die Kolonialzeit und was die Kirche früher gemacht hat. Ist das heute anders?
Die Kolonialzeit ist vorbei! Aber sie belastet weiterhin. Es gibt natürlich überall und immer Einflüsse von einem Volk gegenüber dem anderen, das wird weiterhin so sein bei uns, wie in Afrika auch. Wir sollten uns als Missionare aber bewusst sein: die Kirche ist missionarisch! Sie muss missionarisch sein, um überhaupt die Kirche Jesu Christi zu sein. Und das gilt jetzt überall. Das gilt für Deutschland und für anderswo. Das heißt: die Augen auf! Wir müssen fragen: Wo steht denn jetzt unsere Gesellschaft? Wir können nicht mehr sagen, unsere Gesellschaft ist katholisch oder christlich oder sowas. Sie ist pluralistisch, multireligiös und verändert sich laufend. Und das Missionarische hat überall zu gelten. Das heißt aber jetzt nicht “Einbahnstraße”. Das hieße ja, ich komme mit meiner Überzeugung und möchte sie als das Alleinige durchsetzen. Zu einem solchen viel schichtigen Kontext sprechen wir heute sehr viel von Dialog. Dialog bedeutet nicht, das Christliche aufzugeben, sondern dass die christlichen Wurzeln – wie die alten Kirchenväter sagten, die semina verbi (Samen des Wortes) – dass die eigentlich schon in anderen Religionen und selbst in der säkularen Welt eine Rolle spielen - das sollten wir aufgreifen und damit zurechtkommen.

Interview: Caroline Breuer und Eduardo Silva
Video: Zita Fassbender
Foto: Pater Václav Mucha SVD

Datenschutzhinweis

Diese Webseite nutzt externe Komponenten, wie z.B. Facebook und Youtube welche dazu genutzt werden können, Daten über Ihr Verhalten zu sammeln. Datenschutzinformationen