„Die Brüder“ von Berlin-Kreuzberg

14. Mai 2021

Eine Gemeinschaft unter zwei Dächern, zweiter Standort in Berlin

Seit Jahren schon gab es bei den Steylern Überlegungen, sich an einem sozialen Brennpunkt in Berlin zu engagieren. Nun hat sich in der Pfarrei St. Marien Liebfrauen in Berlin-Kreuzberg die Möglichkeit zum Mitleben und Mitarbeiten ergeben. Br. Bernd Ruffing SVD und Br. Emanuel Huemer SVD haben die Gelegenheit beherzt ergriffen. Auch an ihrem neuen Standort bleiben sie mit der Heilig-Geist-Kommunität eng verbunden. Über ihren Aufbruch und die Zielsetzung ihrer Arbeit berichten sie hier.

„Wir sind interkongregational.“
„Wir sind interkongregational.“
Annette (Missionarin auf Zeit) und Siessener Franziskanerinnen waren wegweisend.
Annette (Missionarin auf Zeit) und Siessener Franziskanerinnen waren wegweisend.

Am 1. April, dem Gründonnerstag, sind wir, Emanuel und Bernd, in die Pfarrerswohnung der Gemeinde St. Marien Liebfrauen in Berlin Kreuzberg gezogen. Bewusst haben wir uns entschieden, die Kar- und Ostertage hier zu verbringen. So haben wir unsere Matten auf den Boden gelegt und sind mit leichtem Gepäck eingezogen. Tatsächlich wurde die erste Nacht eine durchbetete Nacht, denn Bernd hatte mit der MaZ-Ostergruppe Staffelgebete von 22:00 Uhr bis 6 Uhr am Morgen organisiert und sich selbst im leeren Zimmer über die Gelegenheit gefreut, wachend und betend an dem Ort zu starten. Hier in St. Marien Liebfrauen leben sechs Missionaries of Charity, die eine Suppenküche betreiben, in der seit vielen Jahren immer wieder OTP’s praktische Erfahrungen sammeln. Täglich kommen 100-150 Menschen hierhin zum Essen, das momentan leider nur zum Mitnehmen ausgegeben werden kann. Auch ein Arztmobil zur Versorgung von Menschen ohne Krankenversicherung und der Food-Truck fahren einmal in der Woche unsere Kirche hier an. In unmittelbarer Nachbarschaft haben wir den Görli (Görlitzer Park), der unter Insidern und Touristen recht bekannt ist. Anfänglich wurden uns auf unseren ersten Wegen von S- und U-Bahn zu unserem Pfarrhaus regelmäßig Substanzen angeboten, von denen uns weder Preis noch Wirkung bekannt sind. Mittlerweile sind unsere Gesichter vielleicht schon bekannt. Drogenkonsum passiert immer wieder vor der der Kirchentür und auch gedealt wurde schon auf unserem heiligen Boden. Kreuzberger Leben!

Zunächst müssen die Fenster dicht sein.
Zunächst müssen die Fenster dicht sein.
Jetzt kann auch neu gestrichen werden.
Jetzt kann auch neu gestrichen werden.

Als Bernd am Gründonnerstag im Supermarkt um die Ecke von der Kassiererin an der Kasse gefragt wurde: „Und wie war Dein Tag bis jetzt heute?“, war er unsicher, ob er die Frage als Floskel überhören oder wie er darauf reagieren sollte. Als ihm die Kassiererin erneut mit einem interessieren Blick diese Frage stellte, war klar, dass sie wirklich ins Gespräch kommen wollte. „Schön, dass Du jetzt in unserem Kiez wohnst. Herzlich willkommen!“

Unsere Wohnung, die das Erzbistum bereitstellt, ist für uns der perfekte Ort, um der Kirche ein Gesicht zu geben. „Seid da, und sprecht mit den Menschen!“ Das war der Bistumsleitung wichtig, nachdem der Pfarrer am 1.1.2021 hier wegging. Die Gemeinden St. Marien Liebfrauen und St. Michael Kreuzberg, die nach einer Pfarrreform Anfang 2000 schon eine Fusionierung erlebten, gehören nun seit Januar mit weiteren Pfarrstrukturen aus Berlin Mitte zur Pfarrei Bernhard Lichtenberg.

Pfingstrosen zur Begrüßung
Pfingstrosen zur Begrüßung
... und die Hausschlüssel
... und die Hausschlüssel

Interkongregationales Leben entsteht. Mit uns zwei Steylern lebt zurzeit auch Pater Benno, ein waschechter Berliner und Benediktiner. Unser interkongregationales Leben fängt am Küchentisch an und erstreckt sich bis in die Pfarrkirchen, in denen wir montags ein Bibel-Teilen anbieten, ein offenes Morgengebet von Dienstag bis Freitag und eine Vesper zur Begrüßung des Sonntags am Samstagabend. Dazu kommen Ordensleute und Freunde und einfach auch mal jemand, der für die Zeit der Vesper und der Anbetung ein Stündchen auf einer der Kirchenbänke schlafen möchte. Alle sind willkommen. Kreuzberger Leben!

Einem österreichischen Brauch folgend, bei dem ein Palmwedel auf den Acker gesteckt, und somit die Hoffnung um eine ertragreiche Ernte zum Ausdruck kommt, haben auch wir den Palmbusch, den Emanuels Mutter ihm schickte, hier in unseren Acker gesteckt. An Ernte ist noch lange nicht zu denken und wir fangen erst einmal an, mit wachen Augen und offenem Herzen hier zu sein. So, das haben wir gelernt, machen das Missionare, wenn sie an einen neuen Ort kommen. Emanuel hilft dienstags in der Suppenküche und Bernd bringt sich in ein Team von Ehrenamtlichen der Pfarrei ein, die jeweils mittwochs Essensausgaben anbieten. Bernd hat Anfragen für Begleitungsgespräche von Migrant/-innen und eine Frau wartet darauf, dass ein Sonntagsangebot an den Start geht, denn Sonntage seien für Alleinstehende am schwersten. So wird sich sicher in den nächsten Wochen zeigen, was an Konkretem hier entstehen kann. Gottes Geist wird uns die Richtung zeigen.

Überrascht waren wir von der Herzlichkeit und Symbolik, mit der wir an den Kirchenorten St. Marien Liebfrauen und St. Michael begrüßt wurden. Mit den Psalm-Worten „Du füllst uns reichlich den Becher“ wurden uns ganz individuelle Kaffeebecher überreicht und es kam zum Ausdruck, dass man sich darüber freue, dass wir im Gemeindebecher gelandet sind. In St. Michael wurden uns Pfingstrosen überreicht und dazu sagte die Vorsitzende des Pfarrgemeinderates: „. Jeder von euch bekommt eine Pfingstrose geschenkt. Sie heißt Pfingstrose, weil sie normalerweise um Pfingsten herum zu blühen beginnt. Nun könnte man sagen: Aber Pfingsten ist doch erst in vier Wochen. Das stimmt, aber Pfingsten hat bei uns eigentlich schon angefangen, als ihr drei neu in unsere Gemeinde gekommen seid – soviel Freude, so viele neue Töne und frischen Wind habt ihr schon in unsere Kirchen gebracht, so viele Ideen sofort umgesetzt. Zu geisterfüllten Menschen wie euch passt diese Blume besonders gut. (…) Wir hoffen und glauben, dass ihr drei mit unser aller Hilfe eure heilsame Wirkung in der Gemeinde entfalten könnt – und zwar über alle sozialen Grenzen und Generationen hinweg.“

Ja, auch unserer regulären Arbeit gehen wir noch nach. Emanuel arbeitet weiterhin als Fahrradkurier. Für Bernd geht planmäßig nach drei Jahren Ende Mai das Caritas Projekt zu Ende, in dem er als Berater mit seinen Kolleginnen und Kollegen in den letzten drei Jahren 475 Menschen aus über 40 Ländern sehr intensiv begleitet hat. In der Berufsfachschule Paulo Freiere unterrichtet Bernd seit einigen Wochen jetzt Lernende, die eine Ausbildung zu Sozialassitent/-innen machen. Fast alle Lernende haben einen Flucht- oder Migrationshintergrund und eine Lebensrealität, die das Lernen nicht leicht für sie macht. Die Berufsfachschule ist am Zentrum Überleben, dem ehemaligen Zentrum für Flucht und Folteropfer angebunden, das bundesweit einen renommierten Namen hat.

Ja, Ihr seid uns alle willkommen!!! Kommt uns gerne besuchen und begleitet den Neuanfang gerne mit guten Gedanken und Gebeten. Über gute Worte freuen wir uns auch.

Text und Fotos: Bruder Emanuel Huemer SVD und Bruder Bernd Ruffing SVD

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