22. Mär 2021
„Ein Sprung ins kalte Wasser“
In einer Einsiedelei würden wir sicherlich keinen Steyler Missionar suchen. Doch für unseren Mitbruder Pater Norbert Cuypers SVD geht damit ein Traum in Erfüllung. Nach vier Monaten des stillen Lebens in der Einsamkeit haben wir ihn virtuell besucht und ihm einige Fragen gestellt. Im folgenden Interview erfahren Sie mehr.
Lieber Pater Norbert, was hat Sie bewogen, aus der Gemeinschaft in Berlin wegzugehen und in eine Einsiedelei zu ziehen?
Mir ist wichtig zu betonen, dass meine Entscheidung, in die Einsiedelei zu ziehen, keine Entscheidung gegen Berlin war, wo ich ja insgesamt über sechseinhalb Jahre – wenn auch mit drei Jahren Unterbrechung – gerne gelebt und gewirkt habe. Vielmehr war es schon ein über Jahre lang ersehnter Wunsch von mir, ein Leben mit mehr Stille zu suchen. Zweimal hatte ich dafür den Anlauf genommen und dann zugunsten anderer Aufgaben, die der Orden mir angetragen hat, zurückgestellt. Jetzt, beim dritten Mal, hat es endlich geklappt und ich bin der Provinzleitung zutiefst dankbar, dass sie mich in diesem Anliegen so wohlwollend unterstützt und begleitet hat.
Was waren die ersten Erfahrungen?
Die Entscheidung, in eine Einsiedelei zu ziehen, habe ich nicht mal so eben spontan getroffen. Viele persönliche Reflexionen über einen längeren Zeitraum hinweg, aber auch Gespräche mit erfahrenen Menschen haben diese Entscheidung in mir reifen lassen. Am Ende aber kommt dann doch der berühmt-berüchtigte „Sprung ins kalte Wasser“, mit all den Bedenken und Sorgen, die damit einhergehen. Umso wohltuender war die Erfahrung, dass sich die Menschen der Umgebung sehr darüber gefreut haben, dass die Einsiedelei nach fast zwei Jahren der Vakanz wieder bewohnt wird. Diese ihre Freude zeigen mir die Menschen bis heute in Wort und Tat. Das tut mir gut, zu wissen!
Wie sind Sie „angekommen“? Was macht den Unterschied beim Leben als Einsiedler in der Stille?
Von der pulsierenden Millionenstadt Berlin und unserer sehr lebendigen Pfarrgemeinde dort an einen Waldrand im Sauerland zu ziehen hat schon seine eigene Herausforderung und bringt zweifellos eine gewisse Umstellung mit sich. Man darf in diesem Zusammenhang ja auch nicht vergessen, dass ich seit nunmehr 40 Jahren immer nur in Gemeinschaft gelebt habe: zuerst drei Jahre als Auszubildender in Steyl, dann als Mitbruder in den unterschiedlichsten Kommunitäten. Jetzt bin ich mit allem, was mir bisher im Alltag abgenommen wurde, auf mich selbst zurückgeworfen: Ich koche für mich, wasche meine Wäsche allein und putze das Haus selbst. Das erdet allerdings mein spirituelles Leben, für das jetzt aber trotzdem wesentlich mehr Zeit bleibt.
Halten Sie es gut mit sich selber aus?
Es ist in der Tat so, dass es in einem selbst sehr laut werden kann, wenn man die äußerliche Stille sucht. Das Leben in einer Einsiedelei wirft einen gleichsam auf sich selbst zurück. Wenn man alleine lebt, kann man beispielsweise keinen anderen Menschen dafür verantwortlich machen, wenn man schlechte Laune hat oder wenn das Essen nicht rechtzeitig fertig auf dem Tisch steht. Ich sehe darin aber eine ganz große Chance, als Mensch und Ordensmann zu wachsen und zu reifen.
Welche Aktivitäten unterbrechen die Stille der Einsiedelei?
Vor allem die Vormittage sind mir heilig. In dieser Zeit ist mein Telefon abgeschaltet und mein Laptop heruntergefahren. Die Stunden am Morgen sind grundsätzlich für Meditation, Gebet und geistliche Lesung reserviert. Tagebuch schreiben ist mir in diesem Zusammenhang ebenfalls sehr wichtig. Nach der „Erleuchtung“ kommt dann am Nachmittag sozusagen die Hausarbeit, wie das Hemden bügeln oder die Toilette putzen. Auch die Begleitungsgespräche für Menschen, die bei mir anklingeln, die Vorbereitung von Liturgien, das Schreiben von Artikeln, die Vorbereitungen für die nächste Radiosendung erledige ich am Nachmittag. Diese Aktivitäten erlebe ich aber nicht als Unterbrechung, denn auch in ihnen kann ich innerlich ruhig und gesammelt bleiben. Der Abend ist dann vornehmlich wieder der Stille in meinem kleinen Gebetsraum vorbehalten, bevor das Schweigen der Nacht mich ins Bett lockt. Immer mehr Menschen haben psychische Probleme durch die Corona-Kontaktbeschränkungen.
Was würden Sie ihnen sagen? Gibt es Tipps für die Menschen, die solche Probleme haben?
Der Unterschied zwischen mir und den Menschen, die durch die Pandemie in ihren Aktivitäten ausgebremst und deren soziale Kontakte durch Corona eingeschränkt wurden ist sicherlich der, dass ich das zurückgezogene Leben (bzw. Quarantäne) freiwillig gewählt habe. Wenn es den Mitmenschen aber gelänge, die auferlegten Einschränkungen als eine Einladung anzunehmen, ihr Leben bewusst herunterzufahren und zu entschleunigen, könnten sie vielleicht leichter mit der jetzigen Situation umgehen und die positiven Chancen erkennen, die darin liegen. Menschen hier aus der Umgebung sagen mir beispielsweise immer wieder, wie sie in dieser Zeit seit langem wieder mal die Schönheit der Natur um sie herum genießen können. Tatsächlich fallen mir derzeit auch die vielen jungen Menschen auf, die sich hier in der nahegelegenen Kapelle Zeit nehmen für ein paar Momente der Stille und des Gebets. Das berührt mich sehr.
Was ist Ihr missionarischer Ansatz als Einsiedler? Gibt es den? Wie wirkt sich das Einsiedler-Leben auf Ihr missionarisches Leben aus?
Vor kurzem las ich folgende Aussage, die vielleicht eine Antwort gibt: „Der Missionar muss „aktiv-beschaulich“ sein. Wenn er nicht kontemplativ ist, kann er Christus nicht glaubwürdig verkünden!“ In dieser Aussage kann ich mich wiederfinden. Ich bin ja nicht in die Einsiedelei gegangen, weil ich in einer Berufungskrise bin oder mich nicht mehr als Missionar verstehe. Ganz im Gegenteil. Die Menschen, die hier vorbeikommen, wissen größtenteils, dass ich einer Ordensgemeinschaft angehöre. Mein missionarischer Dienst besteht im Wesentlichen aus zwei Elementen, die in unserer heutigen Zeit sehr kostbar geworden sind: ich habe einerseits Zeit, um Menschen zuzuhören. Das darf man nicht unterschätzen, denn viele wissen tatsächlich nicht mehr wohin mit ihrer seelischen Not. Andererseits wissen die Menschen, die in der Kapelle ihre Gebetsanliegen aufschreiben können, dass hier vor Ort ein Mensch lebt, der für sie und ihre Anliegen betet. Und dann ist da noch das stille Zeugnis meines Lebensstils, der ja für viele doch etwas „exotisch“ wirkt. Aber gerade das könnte für sie auch zur Anfrage für ihr eigenes Leben werden.
Interview und Fotos: Renate Breuer