Kraft in Verwundbarkeit

29. Apr 2020

Prophetisches Handeln ist wahrhaft herausgefordert

Pater Egide MuziaziaMit dem Ausbruch der Corona-Pandemie sind wir unerwartet der Macht der Viruserkrankung unterworfen worden. Das hat uns in eine sehr komplexe Situation gebracht und uns gezwungen, unsere bestehenden Ordnungen des privaten und öffentlichen Lebens anzupassen – bis an die Grenzen der geltenden Gesetze. Dies gilt allerdings auch für die Mächtigen und die scheinbar unverwundbaren Führer dieser Welt.

Die Corona-Pandemie macht alle verwundbar. Die Verwundbarkeit hängt damit zusammen, dass nun infizierte wie nicht-infizierte Menschen betroffen, eingeschränkt und – in einer ungeahnten Weise – von anderen Menschen abhängig werden. Darüber hinaus gibt es eine gesellschaftlich weit verbreitete Wahrnehmung von Verwundbarkeit als Schwäche und Entwertung. Angesichts dieser aktuellen verwundbaren Lebenssituationen der Menschen und angesichts der gesellschaftlichen Konstellationen sind ein prophetisches Handeln und ein prophetischer Dialog wahrhaft herausgefordert.

Seit zwei Jahrzehnten gehört der prophetische Dialog zum Wesenskern der Steyler Spiritualität und Mission weltweit. Stephen Bevans und Roger Schroeder betrachten die Mission als einen „prophetischen Dialog“. Sie sind der Meinung, dass die Steyler Ordensfamilie mittels des prophetischen Dialogs Antwortmöglichkeiten zu den konkreten Lebenssituationen der Menschen unserer Zeit anbieten können; und sie verknüpfen dabei die Verkündigung mit der Verwundbarkeit. Die Situationen der Verwundbarkeit führen nicht dazu, dass die Verkündigung aufgegeben wird. Denn die Verwundbarkeit ist der Kontext, ist Ort und Zeit der Verkündigung selbst; und Verkündigung verkündet den Menschen den verwundeten Christus selbst. 

Infolgedessen soll unsere Mission stets in kreativer und aktiver Spannung gehalten werden, um den Kranken, Hoffnungslosen und den wegen des Corona-Virus diffamierten und diskriminierten Menschen mittels unseres missionarischen Zeugnisses Hoffnung schenken. Denn das Virus ist ja auch Auslöser der Stigmatisierung und Diskriminierung von Menschen asiatischer Herkunft. In einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk berichtet die deutsch-vietnamesische Journalistin Mihn Thu Tran über den merkwürdigen Umgang der Menschen mit ihr in der Münchener S-Bahn: „Solche Situationen, wo Menschen sich sofort wegsetzten, wenn du dich in der S-Bahn neben sie setzt oder dich in Arztpraxen komisch anschauen, das gibt einem einfach das Gefühl, als wäre man ein Aussätziger, als gehöre man nicht dazu, als sei man in irgendeiner Weise vielleicht nicht menschlich. Und das ist natürlich zutiefst verletzend und ausgrenzend.“

Nicht nur Menschen asiatischer Abstammung werden diskriminiert, sondern auch Deutsche, die sich während ihres Skiurlaubs infiziert haben. Ein Patient hatte bei mir im Büro angerufen und brauchte dringend ein seelsorgerisches Gespräch. Er hatte sich in Südtirol infiziert und wurde während seiner Quarantäne jeden Tag mit Schimpfbotschaften an der Tür oder im Garten belästigt. Solche Diskriminierungen und Stigmatisierungen spalten Gemeinschaften und berauben den einzelnen Menschen seiner Menschenwürde. Hinzu kommt, dass sich derartige Stigmatisierungen schnell mit anderen Vorurteilen oder Fake News verbinden, sodass Verschwörungstheorien entstehen oder rassistische Vorurteile genährt werden. Die missionarische Perspektive der Steyler, die ins Gespräch treten lässt mit allen – Kranken, Gesunden und Stigmatisierten –, kann deshalb dazu beitragen, einer panischen Angst der Menschen vor dem Virus entgegenzuwirken. Zu dieser missionarischen Perspektive der Steyler gehört aber auch die Interaktion zwischen Dialog und dem prophetischen Handeln. Der Dialog behält immer seinen prophetischen Aspekt. Er soll aber nicht bei der theoretischen Erörterung stehen bleiben. Der prophetische Dialog braucht auch greifbare prophetische Handlungen. Das ist auch der Weg, den wir als Steyler Missionare und Missionarinnen
seit unserer Gründung gehen: Für uns impliziert der prophetische Dialog immer ein prophetisches Handeln.

Arnold Janssen, unser Stifter, hatte schon seinerzeit den Grundstein für die prophetische Verkündigung und das prophetische Handeln gelegt. Sein berühmtes Zitat: „Wir leben in einer Zeit, wo vieles zugrunde geht; aber gerade deshalb muss anderes neu entstehen“, ist ein prophetischer Hinweis auf unser Handeln als Steyler Missionare und Missionarinnen in dieser Welt. Prophet sein in dieser schwierigen
Zeit bedeutet, dass wir uns, ausgehend vom Wesenskern unserer Spiritualität, für die Menschen einsetzen, damit sie in Würde leben können. Mag sein, dass die Corona-Krise uns herausfordert. Jedoch angesichts dieser Herausforderung sollen wir kreativer werden, damit etwas Neues entstehen kann.

Text: Pater Égide Muziazia SVD

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